Javier Marías hat mit „Berta Isla“ seinen Höhepunkt erreicht. Wie die holländischen Stilllebenmaler ihre Motive immer mehr und immer weiter vertiefen und perfektionieren, so gelingt es dem Spanier, seine Themen zu einer Roman-Welt werden zu lassen. Foto: Bernardo Pérez/S. Fischer Verlage.


Es war eine Farce, die der britische Geheimdienst aufgeführt hat, um sich der Dienste des außerordentlich begabten jungen Spaniers Tomás Nevinson zu versichern. Zu diesem Schluss kommt Tomás am Ende des Buches „Berta Isla“ im Gespräch mit einem seiner Lehrer in Oxford. Und damit wären schon die immerwährenden Themen und Schauplätze im Schreiben des Javier Marías aufgezeigt: das universitäre, von der Außenwelt nahezu unberührte Dasein in Oxford, der Geheimdienst, das Leben in Spaniens Hauptstadt. Dazu kommt dann noch Shakespeare, aus dessen verstörender Welt Marías immer wieder Zitate hervorholt („Mein Herz so weiß“, „Dein Gesicht morgen“) oder ganze Szenen in Erinnerung ruft. (Diesmal ist es Heinrich V., der sich verkleidet unter seine Soldaten mischt und die Stimmung dort ausforschen will.) Dieser Tomás spielt aber nicht die Hauptrolle in seinem Leben, wie seine Frau gegen Ende des Romans feststellen muss, sie, Berta Isla, ist die Titelheldin und auch diejenige, deren Leben man von Anfang an mitverfolgen kann, denn das von Tomás muss ja geheim bleiben, da ergehen sich der Erzähler und Tomás selbst immer nur in Andeutungen. Sie ist die Wartende, muss die Zeiten seiner oft jahrelangen Abwesenheiten überstehen lernen. Marías schafft es in seinen Büchern, sehr differenzierte Paarbeziehungen darzustellen. Berta Isla ist zu Beginn des Buches „dunkel, schön, mild, sanft und unvollkommen“. (Ihr gesteht er, was sich Marías sonst sehr selten herausnimmt, ein zutiefst erotisches Erlebnis zu. Die einschlägigen Erlebnisse von Tomás sind da viel weniger spektakulär.) Das Paar: Ihre Überlegungen und Gedanken bilden auch die Klammer zum Geschehen, sind der Anfang und das Ende des Buches. Sie gleicht Penelope, die im Warten Persönlichkeit gewinnt. Er hat durch sein abenteuerliches Leben nichts gelernt, auch für sich nichts herausholen können, ihm bleibt am Ende, den Groll des in der Farce Betrogenen überwinden zu müssen. Diejenigen, die ihm das angetan haben, bleiben unberührt und weiterhin böse, er kann sich nicht einmal an ihnen rächen. So ist, wie immer bei Marías, auch „Berta Isla“ ein Buch, das sich zum Großteil in der Gedankenwelt abspielt, ganz selten, dafür aber höchst spektakulär und verstörend, erlaubt er sich Action-Szenen. Genau gezeichnet sind die wenigen Nebenfiguren, die der Autor für seine Geschichte benötigt und es ist ein Vergnügen, ihm bei deren Ausdenken zuzusehen. Denjenigen, der das Geschehen ins Rollen bringt, mit ein paar unbedachten Sätzen die Farce sich entwickeln lässt, den man lange Zeit als den Hauptverdächtigen vermutet, der kommt dann nicht mehr vor, der soll auch nicht mehr mit Fragen belästigt werden. Wunderbar eine der letzten Szenen, auch für die es sich die weit über 600 Seiten zu lesen lohnt: Bevor Tomás endgültig heimkehren wird, steht Berta am Balkon im Schneetreiben – in Madrid – und beobachtet ein Paar berittener Polizisten, einer auf einem weißen, der andere auf einem schwarzen Pferd. Die Schneeflocken sieht man nur auf dem schwarzen Pferd …

Erschienen in Buchkultur 184, Juni 2019.

Javier Marías
Berta Isla
Übers. v. Susanne Lange
S.Fischer, 656 S