Die Herrin über das sanfte Verbrechen bittet zur »Tea Time«: Ingrid Noll auf der Höhe ihrer Krimikunst


Schon Agrippina wusste um die toxische Wirkung des Eisenhuts. Um den Thron für ihren Sohn Nero freizumachen, ließ sie ihrem Gatten, dem römischen Kaiser Claudius, ein Gericht daraus zubereiten, das ihn das zwar wunderschöne, aber hochgiftige Kraut bald von unten ansehen ließ. Sie sollte es alsbald bereuen: Nero ließ seine Mutter wenig später selbst ermorden.

Auf die Dosierung kommt es an. Auch in der Küche der Apothekenhelferin Nina treibt das eine oder andere unheilvolle Pflänzchen seine Blüten. In ihrem siebzehnten Roman versammelt Ingrid Noll sechs Frauen um den Gabentisch. Jede von ihnen hat eine kleine Macke, die sie für den von Nina und ihrer besten Freundin Franzi ins Leben gerufenen »Klub der Spinnerinnen« prädestiniert. Nina schläft nur gut, wenn sie sich in ihre Bettdecke wie in einen strammen Kokon einwickelt (und hat außerdem ein Händchen für schöne Dinge, die nicht ihr gehören). Franzi kämmt ungefragt fremde Teppichfransen zurecht.

Sein Name ist Ha(a)se. Alles ist im friedlichen Bereich, bis Nina ihre Handtasche im Weinheimer Schaugarten »Hermannshof« verlegt. Denn Andreas Haase, der Finder, erwartet von Nina mehr als den üblichen Lohn. Dass der arbeitslose Uhrmacher außerdem der Ex-Mann einer der vier Klubschwestern und dem Hochprozentigen nicht abgeneigt ist, macht die Sache nicht einfacher. Doch gegen jedes Übel ist bekanntlich ein Kraut gewachsen.

Von langen Fingern und trüben Tassen. Wenn Ingrid Nolls Protagonistinnen ihren eigenhändig gepflückten Tee servieren, heißt es auf der Hut sein. Der Schuss Arak in die Tasse zielt nicht ins Leere, und die Probleme türmen sich auf wie die Wolken am Weinheimer Himmel. Auch in den Liebesangelegenheiten der Freundinnen steht nicht alles zum Blumigsten. Die Schulsekretärin Franzi ist in den schwulen Lateinlehrer verschossen, und Nina will den schrulligen Nachbarn und Bücherwurm Yves unter ihre Bettdecke bekommen. Das Fest der Liebe steht vor der Tür. Ob sich unter dem fehlenden Weihnachtsbaum das ruhige Gewissen noch einstellt?

Seit mehr als drei Jahrzehnten perfektioniert Ingrid Noll die stille Kunst des Mordens. »Frauen«, bemerkte sie im Buchkultur-Interview, »lassen sich nicht so oft erwischen. Sie sind ja meistens die Herrinnen der Küche, die Pflegerinnen der Kinder, der Alten und Kranken und haben dadurch raffiniertere Möglichkeiten als plumpe Gewalt.«

Ein Mord mag verziehen werden, eine Unhöflichkeit beim Tee nie, sagt eine alte chinesische Weisheit. »Ohne Empathie kann ich meine Protagonistinnen nicht glaubhaft darstellen, deswegen bringe ich es nicht übers Herz, sie hart zu bestrafen.«

Eine Tasse Tee löst (fast) alle Probleme, und am Ende bewahrheitet sich einmal mehr das alte Sprichwort: Fast jede/r hat eine Leiche im Keller. In ihrer siebzehnten und erstmals in ihrer Heimatstadt Weinheim angesiedelten Krimikomödie liest Ingrid Noll im Teesatz menschlicher Abgründe. »Tea Time« ist ein Meisterstück weiblicher Listen und Raffinesse!

Ingrid Noll
Tea Time
Diogenes, 320 S.