Hejo Emons ist tot. Der Krimi-Verleger, Erfinder des Regional-Krimis im deutschsprachigen Raum, verstarb am 20. August, zwei Tage nach seinem 73. Geburtstag, in seiner Heimatstadt Köln.


Buchkultur-Herausgeber Michael Schnepf, der Hejo Emons und seinem emons-Verlag über viele Jahre freundschaftlich verbunden war: »Er war einer der vorzüglichsten und feinsten Menschen, den ich in all den Jahrzehnten in der Welt der Bücher kennengelernt habe. Im Namen des Buchkultur-Teams wünsche ich der Familie und den Mitarbeiter/innen im Verlag viel Kraft. RIP.«

Noch im Juni 2023 verfasste Hejo Emons einen Beitrag für den Buchkultur-Bücherbrief, in dem er anlässlich des Buchkultur-Krimisommers seine große Begeisterung für das Genre mit uns teilte:

 

Vor jeder Haustür eine literarische Leiche

von Hejo Emons

Als Verleger stelle ich mir fortwährend eine zentrale Frage. Sie klingt in Ihren Ohren vielleicht trivial oder sonderbar, aber für mich ist sie hochinteressant. Warum lesen Sie? Und damit meine ich nicht so sehr »Warum lesen Sie überhaupt, und warum tippen Sie nicht stattdessen auf Ihrem Handy herum oder schauen Netflix?« (Dafür im Übrigen herzlichen Dank im Namen der Buchbranche und der gesamten Gesellschaft.) Mich interessiert vor allem die Frage: Warum greifen Sie zu diesem Buch, zu jener Form von Literatur, warum zu diesem Autor und zu jenem nicht?

Ich persönlich lese, seitdem ich denken kann. Oder andersherum – so genau lässt sich das nicht sagen. Und seitdem ich lesen kann, lese ich Kriminalromane. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich behaupte seit jeher, dass der Krimi allen anderen Genres etwas voraushat. Denn er erzählt Geschichten über das Leben (was andere Literatur auch kann und häufig tut), und er erzählt diese Geschichten spannend (was andere Literatur auch kann, aber häufig nicht will oder tut). Das bedeutet: Die Anforderungen an einen guten Krimi sind im Grunde höher. Ja, auch ein Krimi sollte ein Thema haben. Auch ein Krimi sollte relevant sein. Auch ein Krimi sollte in einer geschliffenen Sprache geschrieben und pointiert erzählt sein. Aber zusätzlich zu all diesen Hürden sollte ein Krimi auch noch so verfasst sein, dass Sie als Leserinnen und Leser ihn am liebsten nicht aus der Hand legen wollen. Weil jede Seite direkt nach der nächsten ruft. Weil die Geschichte, die Sie miterleben, Sie so sehr in Aufruhr versetzt, dass alles um Sie herum für einen Moment zur Nebensache wird. Wenn Sie viel lesen, kennen Sie dieses Gefühl so gut wie ich. Und besonders oft erlebt man es eben mit einem Krimi. Einem guten Krimi.

Als ich unseren Verlag gründete, spielten Kriminalromane vor allem in Los Angeles oder in New York, vielleicht auch in London, auf jeden Fall in irgendeiner Metropole. Aber selten in Köln, der Eifel, in Tirol oder im Weinviertel. Mich hat das damals irritiert. Denn ich hatte immer das Gefühl, dass jeder Ort seine Geschichten zu erzählen hat. Nichts gegen die Chandlers und Hammetts dieser Welt. Aber warum sollte eine Autorin aus Wien ihr Buch irgendwo anders spielen lassen als vor der eigenen Haustür? Als wir 1984 mit dem Köln-Krimi »Tödlicher Klüngel« den ersten deutschsprachigen Regionalkrimi veröffentlicht haben, war das ein Novum. Die Feuilletons von FAZ bis Spiegel wunderten sich damals: »Ein echter Krimi? Hart sogar? Und er spielt am Rhein?« Ja, war unsere Antwort. Und bald nicht nur am Rhein, sondern in vielen anderen Städten und Regionen dieser Welt. Dass daraus jemals ein Phänomen erwachsen würde, das so groß würde, wie es der Regionalkrimi heute ist, dass es eine Zeit geben würde, in der fast vor jeder Haustür eine literarische Leiche liegt, ahnten wir damals noch nicht.

»Zu viele Krimis«, unken nun dieselben Feuilletons, die gestern noch beeindruckt waren. Wer soll das alles lesen? Sie und ich kennen die Antwort. Und während jene das Genre schon so häufig zu Grabe getragen haben, dass es bereits vor 15 Jahren mausetot hätte sein müssen, schreiben Autorinnen und Autoren allen Abgesängen zum Trotz neue, spannende Geschichten und Bücher. Und diese finden Sie dann bei Ihrem Buchhändler vor Ort, und vielleicht kaufen Sie sie, weil Sie wie ich vom Krimifieber befallen sind. Und weil Sie wie ich verstehen, dass es nicht den »einen« Regionalkrimi gibt, und weil sie wissen, wie vielschichtig, pulsierend, hervorragend und lesenswert das Krimigenre ist: so wie andere Bücher auch – nur eben spannender!


Danke für alles, Hejo!