Foto: Olivier Favre.
Was wären wir als Publikum ohne die vielen guten Erinnerungen an Verfilmungen, die zu völlig verschiedenen Zeiten und für völlig verschiedene Generationen entstanden sind? Wie „Winnetou“ mit Pierre Brice und Lex Barker, die Generationen von jungen Frauen schlaflose Nächte bereitet haben; die „Harry Potter“-Filme, die seinerzeit auch stark über die sehr gute Schauspieler-Auswahl erfolgreich waren (und ja immer noch sind); oder mittlerweile Klassiker wie der Kinofilm „Der Name der Rose“ – von dem alle damals dachten, dieser Roman sei unverfilmbar –, und dann kommt Sean Connery und schon ist es großes Kino. Hier könnte ich noch Hunderte von Beispielen aufzählen; so etwa „Games of Thrones“, eine ganz große Durchbruchsverfilmung, um Serien wieder salonfähig zu machen; oder die wirklich süßen Family- und Kinderserien vom „Kleinen Eisbär“ über „Jim Knopf“, „Pippi Langstrumpf“ sowie all die Wiederverfilmungen der Erich Kästner-Bücher bis hin zu Cornelia Funke oder „Pettersson und Findus“.
Die Verfilmung ihres Buches wünschen sich eigentlich alle Autorinnen und Autoren, damit erreichen sie schließlich ein zusätzliches und größeres Publikum. Es werden neue Aufmerksamkeiten geschaffen und in der Regel rund um einen Filmstart auch ein paar mehr Bücher und Hörbücher verkauft. Honorar für die Verfilmungen gibt es darüberhinaus, wobei hier kaum Standard-Richtlinien vorliegen, aber natürlich haben die Auflage und internationale Lizenzverkäufe Auswirkung auf die Honorarhöhe. In der Regel führe ich als Agent mit den Autorinnen und Autoren erst einmal Gespräche, bevor die Verfilmungsrechte an Produzenten eingeräumt werden und erläutere ihnen, was sie wissen sollten und worauf sie sich auch kreativ einlassen, wenn Verfilmungsrechte weggegeben werden. Denn die „große Leinwand“ und die Dramaturgie des Bewegtbildes bedingen andere Notwendigkeiten. Aus diesen Gründen ist es in den meisten Filmproduktionen, die aus literarischen Vorlagen bestehen, inzwischen üblich, dass die Buchautorinnen und -autoren an den kreativen Prozessen, wie etwa dem Drehbuch, beteiligt werden. Die Letztentscheidungen verbleiben bei den Filmproduzenten, was aber auch logisch ist, da jede Filmproduktion, egal ob für Kino oder Fernsehen, in der Regel mehrere Millionen Euro kostet. Und diese muss, unabhängig von einem eventuellen späteren Erfolg, erst einmal jemand bezahlen.
Ein interessantes Beispiel dafür ist die Kino-Verfilmung des Romans „Er ist wieder da!“ von Timur Vermes. Der Filmproduzent Christoph Müller hatte sich bereits in das Buch verliebt, bevor es überhaupt noch auf der Bestsellerliste stand. Dennoch hat der Autor mit mehreren Produktionsfirmen Gespräche geführt, sich letztendlich aber für den Weg und die Vorschläge von Christoph Müller entschieden. Als der Kinofilm im Oktober 2015 Premiere hatte, äußerte sich der Autor anfangs recht verhalten zur Kinoumsetzung. Auch deshalb, weil Regisseur David Wnendt und Produzent Christoph Müller ein paar Szenen in den Kinofilm aufgenommen haben, die nicht im Buch standen: So wurden etwa Passanten auf der Straße gefragt, wie sie es denn fänden, wenn der Führer jetzt wieder da wäre. Die Presse hat den Film sehr positiv aufgenommen. Wenige Wochen später lag er bei mehr als 2,5 Millionen verkauften Tickets und war in diesem Jahr der zweiterfolgreichste in Deutschland hergestellte Kinofilm nach „Fuck u Göthe“. Dazu wurden über eine Million DVDs und Downloads verkauft, Netflix sicherte sich die internationalen Streamingrechte. Die reichliche, positive Presse und die am Ende internationale Verbreitung haben den Autor schließlich im Nachhinein davon überzeugt, dass die kreativen Zutaten des Regisseurs und des Filmproduzenten dem Projekt für diese Medienumsetzung gut getan haben.
Die Erkenntnis für Buchautorinnen und -autoren aus Geschichten wie dieser könnte sein, dass die Verfilmungen ihrer jeweiligen Stoffe in der Regel nicht schlechter oder minderwertiger sein müssen als ihre Buchvorlagen. Doch meist sind sie einfach anders. Dabei ist es völlig klar, dass die 90-Minuten-Verfilmung eines Romans für Kino, Fernsehen oder als 8-teilige Miniserie für ein Streaming-Portal eine abweichende Dramaturgie haben muss als dies im Buch vorgezeichnet ist. Dazu ist im Kino mit seiner großen Leinwand zum Teil auch eine ganz andere Kameraführung notwendig, als bei einem Film für die „TV-Fläche“. Beides eint jedoch: Ich kann weder im Kino noch im TV eben mal schnell zurückblättern und nachlesen wie in einem Buch: Wie war das jetzt genau?
Übrigens zeigte schon der große Thomas Mann ein gespaltenes Verhältnis zu Verfilmungen, einerseits trieb er sie voran, andererseits wetterte er gegen sie, die erste Adaption seines Gesellschaftsromans Buddenbrooks aus dem Jahr 1923 zerriss er mit den Worten, es sei ein „strohdummes und sentimentales Kino-Drama, von dem meine Seele nichts weiß“. Und wie wir aktuell mitbekommen, hatte nicht nur er dieses Problem, es geht auch heute noch vielen so.
Die Corona-Pandemie hat seit März 2020 die Kinolandschaft, die TV-Sender und „das neue Medium“ Streaming-SVoD-Plattformen grundlegend verändert. Besonders hart betroffen sind die Kinos, was sie meiner Meinung nach so gar nicht verdient haben. Die Kinos im deutschsprachigen Raum verzeichnen im Jahr 2020 im bisherigen Vergleich zu 2019 einen Umsatzeinbruch von durchschnittlich über 53%*. Und das, obwohl sie in den kritischen Monaten viel Geld auch in die Umsetzung der Hygiene-Vorschriften investiert haben. Ich selbst gehe 4 bis 5 mal pro Monat ins Kino und kann bestätigen, dass dies vorbildlich umgesetzt wurde.
Ein paar Beispiele aus diesem Jahr zeigen diese Problematik: Die Verfilmung der Känguru-Chroniken von Mark-Uwe Kling startete mit über 700.000 Zuschauern ausgezeichnet in den Kinos, dann wurden diese geschlossen. Der Film hätte mit Sicherheit 1,2 bis 1,3 Millionen Zuschauer erreichen können. „Jim Knopf 2“ ereilte das gleiche Schicksal. Rund 750.000 Zuschauer sahen ihn in den ersten 4 Wochen, ein sehr guter Start, dann kam die Sperre. Auch hier wäre das Potential bei 1,2 Millionen gelegen, sahen doch schon über 1,7 Millionen Menschen den ersten Teil, der 2018 startete.
In der gleichen Zeit haben die Streaming-Portale in den ersten 9 Monaten des Jahres enorme Zuwächse erlebt. Die Corona-Pandemie hat hier reichlich nachgeholfen. Wir sind zu Hause eingeschlossen, haben Zeit und lassen uns (vor allem die jüngeren Generationen) auch einmal schnell von einer der Serien einfangen und „süchtig machen“. Viel Geld wird hier in die Hand genommen, für Ausstattung und Settings, und das sieht man. Die großen Portale wie Netflix (derzeit Platz 1 mit rund 183 Mio. Abos), Amazon (2., rund 150 Mio.), Disney+ (3, rund 50 Mio.) sowie Hulu, HBO etc. weisen einen beachtlichen Zuwachs auf: von rund 11,2 (2019) auf derzeit 15,6 Milliarden US-Dollar. Die Prognosen lauten, dass dies in den nächsten zwei Jahren auf 25 Milliarden US-Dollar anwachsen kann.*
In diesem Konzert halten sich die uns bekannten klassischen Fernsehsender immer noch sehr wacker. Doch auch hier muss investiert werden. Eine TV-Serie wie „Bad Banks“ oder „Berlin-Babylon“ wäre vor 5 Jahren kaum vorstellbar gewesen. Gut, dass es diese größeren Auftritte jetzt gibt, auch wenn es natürlich eine beschränkte Anzahl von Projekten betrifft. Ihnen muss man jedenfalls zugute halten, dass sie immer bereit waren und sind, Kinofilme als Co-Produzenten mitzufinanzieren, auch dann, wenn es sich um intellektuellere Themen oder um mutige Stoffe handelt, die sich erst beim Publikum bewähren müssen.
Insgesamt bedeuten all diese Entwicklungen für die Buchautorinnen und -autoren sowie für die lizenzgebenden Verlage, dass sich der Wettbewerb um interessante Themen und Stoffe deutlich verschärft. Die verschiedenen Filmproduktionen, Sender und Streaming-Plattformen beschäftigen inzwischen eigene Writers-Rooms und Dramaturgen-Teams, die permanente Marktforschung betreiben. Dort werden Themen und Stoffe entwickelt, die unterschiedlich definierte Zielgruppen anvisieren. Dem gegenüber stehen auf der anderen Seite die Buchverlage mit bereits am Markt bewährten Inhalten, egal ob als Buch, E-Book oder Hörbuch. Und teilweise aus der Feder von Autorinnen und Autoren, die ein millionenschweres Fanpublikum hinter sich haben. Als Beispiele seien hier genannt – allesamt wurden sie verfilmt: Dan Brown, Doris Dörrie, Andreas Eschbach, Rita Falk, Sebastian Fitzek, Ken Follet, Mark-Uwe Kling, Ralf König, Donna Leon, Paul Maar, Walter Moers, Jan Weiler… (unvollständig und rein alphabetisch sortiert). Die Verlage haben also immer noch eine wichtige Entdecker-Funktion für die verschiedenen Bereiche der Filmproduzenten und Sender.
Ich persönlich habe bis vor kurzem stark gehofft, dass die erste Realverfilmung von Klaus Baumgarts „Lauras Stern“ wie geplant zur Weihnachtszeit in die Kinos kommen kann. Die Geschichten gelten als pädagogisch wertvoll bei den Eltern, aber ohne, dass der Zeigefinger erhoben wird. Die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder werden ernst genommen. Man kann Dinge und Zusammenhänge lernen, oder sich einfach unterhalten lassen. Und diese Geschichten haben auch kulturelle Unterschiede überwunden, sonst hätte „Lauras Stern“ es nicht geschafft in 69 Ländern Fuß zu fassen. Als Starttermin war der 23. Dezember vorgesehen, jetzt ist auch er um ein Jahr verschoben.
Die große Leinwand und das gemeinsame Erlebnis von Familien, einen Ausflug ins Kino zu machen, erzeugen nach wie vor eine ganz spezielle Faszination. Und das besonders in der Weihnachtszeit. Mit etwas Glück interessieren sich die Kids danach auch noch für die Bücher, um die Geschichte nachzulesen. Wir sollten, wenn wir Filme mögen, so, wie wir unserem Lieblingsbuchhändler, dem Lieblingsrestaurant oder Café treu bleiben, auch den Kinos eine Chance geben, sobald wir diese wieder besuchen dürfen.
Ich drücke jedenfalls den Kinos ganz fest die Daumen, dass sie im Laufe des Dezember ihre Türen öffnen und wir starke Geschichten zu sehen bekommen, die unser Herz berühren. Schließlich begehen wir im Schatten der aktuellen Kinokrise in den nächsten Wochen ein kleines Jubiläum: Vor 125 Jahren, am 28.12.1895, fand die weltweit erste öffentliche Filmvorführung der Brüder Lumìere in Paris statt. Das hat die Welt verändert.
* Quelle Blickpunkt Film
Dieser Beitrag wurde zuerst im Buchkultur-Bücherbrief vom 24. November 2020 veröffentlicht. Jetzt hier kostenlos abonnieren!
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Bodo Horn-Rumold, Agent für Literaturverfilmungen, Geschichten und Figurenwelten. Seine Laufbahn führte ihn von S. Fischer (Werbung), Eichborn Verlag (Marketing & Vertrieb), Nord Süd (Verlagsleitung) und Neugebauer bis zum Kauf des Baumhaus Verlages, wo er als Verleger Bestseller wie „Gregs Tagebuch“ (18 Millionen verkaufte Bücher im deutschsprachigen Raum), die „Wilden Fußballkerle“ oder „Lauras Stern“ aufgebaut und als Filme erfolgreich vermarktet hat. Nach dem Verkauf seines Verlags an Bastei Lübbe und dem Verbleib als Verleger bis 2019 widmet er sich seitdem exklusiv seiner Film- und Verlagsagentur in Frankfurt am Main.