Die besten Krimis der Saison 2020:

Frank Göhre, „Verdammte Liebe Amsterdam“ (CulturBooks), 168 S.

Platz 2

Es hat lange gedauert, bis Frank Göhre einen neuen Roman vorgelegt hat. Jetzt ist es endlich soweit: „Verdammte Liebe Amsterdam“, alles andere als ein „Spätwerk“, sondern eher ein Konzentrat. Foto: Greta Windfuhr.


Frank Göhres neuer Roman „Verdammte Liebe Amsterdam“ erzählt eine „kleine“ Geschichte: Der Bruder des Hamburger Gastronomen Köster ist auf einem Autobahnrastplatz zu Tode geprügelt worden. Köster lässt alles stehen und liegen und eilt nach Köln, um den Hintergründen dieses Mordes auf die Spur zu kommen. Diese Spur führt einerseits nach Amsterdam, dem alten Sehnsuchtsort der Brüder, und zudem in die eigene Familiengeschichte. Sein Bruder, so erfährt Köster, wollte eine jugendliche Ausreißerin in Holland finden, die dort ins kriminelle Milieu gerutscht war. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist womöglich noch blutiger.

Göhre hatte schon immer und hat immer noch ein einzigartiges Gespür für die gewalttätigen und abstoßenden Potentiale „normaler“ Milieus – Reihenhäuser, Supermärkte, schäbige Hotels oder Kneipen und deren Personal. Schlägernde Polizisten, die grillen und angeln, tyrannische Familienväter, pädophile Stiefväter, geile Vorgesetzte und natürlich, nur ein paar Millimeter daneben, kleinkriminelle Ganoven, die unteren Ebenen des organisierten Verbrechens, die notfalls nicht minder gewalttätig oder tödlich sein können. Alles nicht besonders spektakulär als Einzelphänomen, aber alles zusammen erzeugt eine Stimmung, die sich nur mit den Mitteln der Literatur abbilden lässt. Sie existiert in diesem Deutschland, auch wenn man sie soziologisch nicht präzise beschreiben kann. Und sie existiert vor allem in sozialen Gegenden, denen sich die Literatur nur in seltenen Fällen annimmt. Oder wenn, dann sensationalistisch. Göhres Bio- und Soziotope sind keine reinen Höllen, sondern deprimierende Beschreibungen von realen Zuständen, die man – makropolitisch – nicht sehen will. Wenn die Bezeichnung „roman noir“ überhaupt eine Berechtigung hat, dann für das Gesamtwerk von Frank Göhre.

Dazu gehört die Inszenierung. Göhre erzählt knapp, auf den Punkt, ohne aufwendige Kunstgriffe (aber mit hohem Bewusstsein dafür, was er tut), ohne überflüssige Garnituren und zeitgeistigen Fidelwipp. Die Lakonie und Ironie, die grimmige Komik des Textes sind nicht unterstrichen, sie sind wie beiläufig eingearbeitet, machen nicht auf sich aufmerksam und wirken genau deswegen. Und selbstverständlich hat auch diese kleine, schmutzige Geschichte ihre politische Dimension. Die aber steckt nicht in irgendwelchen Thesen oder Anklagen oder Problembenennungen, sondern in Göhres Perspektive, in seiner literarischen Haltung. Nirgends sitzt der Erzähler über den Dingen und Menschen, sein Blick ist der Blick „von unten“, er hierarchisiert nie. Also die Perspektive, die Kriminalliteratur von Bedeutung schon immer wirklich zu politischer Literatur gemacht hat. Die reine Substanz.

Frank Göhre, geboren 1943, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt in Hamburg. Sein erster Krimi, „Der Schrei des Schmetterlings“ (1986) wurde mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, ebenso wie sein Roman „Der Auserwählte“ (2010). Er veröffentlichte Bücher über Ed McBain und Elmore Leonard. Zu seinen Drehbucharbeiten zählen „Abwärts“ und „St. Pauli Nacht“ (Deutscher Drehbuchpreis, verfilmt von Sönke Wortmann).


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