Die besten Krimis der Saison 2020:

Carlo Lucarelli, „Hundechristus“ (Folio),
Übers. v. Karin Fleischanderl, 272 S.

Platz 3

„Hundechristus“ ist der 5. Teil von Carlo Lucarellis Serie um den Commissario De Luca, der im Faschismus ein guter Polizist sein will und damit leben muss, dass die Umstände ganz und gar nicht danach sind. Foto: Giliola Chiste.


„Hundechristus“ von Carlo Lucarelli springt in der Chronologie der literarisch-fiktiven Biografie von Commissario De Luca ins Jahr 1943 zurück, ganz kurz bevor Mussolini entmachtet wird. De Luca, in Bologna stationiert, bekommt es mit zwei Leichen zu tun, beziehungsweise schön makaber: Mit einem Rumpf ohne Kopf und einem Kopf ohne Rumpf, die nicht zusammenpassen. Beide tauchen im Umkreis von Schwarzmarkt- und Drogenhändlern auf, beide scheinen im Leben internierte Juden gewesen zu sein, die sich eigentlich aus Italien in die sichere Schweiz absetzen wollten. Denn Bologna liegt im Bombenhagel der Alliierten, ihr Einmarsch wird sehnlichst erwartet. Mussolini wird gestürzt, die politische Situation ist extrem unübersichtlich. Faschistische Funktionäre werden entmachtet, auch die Polizei muss um ihr Leben fürchten.

Der Widerstand und das Organisierte Verbrechen können das Machtvakuum nicht ganz ausfüllen, aber durchaus für ihre Zwecke nutzen. In diesem Interregnum verschieben sich die politischen Kräfte, dann marschieren die Deutschen ein und wieder sind die Konstellationen plötzlich ganz anders. Commissario De Luca, der gerade frisch und glücklich verliebt ist, muss auf Teufel komm raus buchstäblich um sein Leben rochieren und koalieren – und weil er sowieso einer der moralisch dubiosesten Gestalten der zeitgenössischen Kriminalliteratur ist, geht er eine Kooperation mit einem faschistischen Geheimdienst ein, der eng mit den Nazis zusammenarbeitet (später, wie wir wissen, wird er sogar für die Republik von Salò arbeiten). Aber das ist ihm egal, wenn er nur die Wahrheit über die beiden Morde herausfinden kann, denn diese „Wahrheit“ ist sein höchstes Gut, ungeachtet ihrer moralischen und menschlichen Implikationen – De Luca ist sozusagen ein Kantianer-over-the-top. Und erinnert nicht umsonst an dieser Stelle an Giorgio Scerbanencos kantigen Ermittler Duca Lamberti, eine Ikone der italienischen Kriminalliteratur. Mit voller Absicht: „Hundechristus“ ist auch stilistisch fast ein Scerbanenco-Pastiche (was Lucarelli im Nachwort extra betont), ähnlich schroff und schartig, präzise und unbehaglich, herzlos und empathisch gleichzeitig. De Luca ist eine Anti-Identifikationsfigur, komplex, mitunter rätselhaft, und deswegen so unendlich interessanter, wie viele seiner auf den breiten Publikumsgeschmack schielende „Helden“ historischer Kriminalromane. Seine Dilemmata können keine klaren Lösungen haben, sie bleiben entschieden unbehaglich und lassen sich nicht rechtfertigend wegkuscheln, weil sie ganz genau in ihren ganz genauen historischen Kontext eingebaut sind. Der aber folgt nicht den Regeln von formula fiction. So großartig können auch period pieces funktionieren.

Carlo Lucarelli, geboren 1960 in Parma, lebt bei Bologna. Er ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Journalist, Regisseur und Fernsehmoderator. International bekannt wurde er durch seine Kriminalromane, die in viele Sprachen übersetzt, mehrfach preisgekrönt und verfilmt wurden. Er ist Mitbegründer der literarischen Vereinigung „Gruppo 13“ und Lehrer an der „Scuola Holden“ für kreatives Schreiben.


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