Weihnachtsgeschäft für den Buchhandel unter COVID-Ausnahmebedingungen, Jahr zwei: Die Redaktionsmitglieder aus der Branche berichten, wie gut sie „Click & Collect“ auch ohne ozeanisch-große Lagerhallen hinbekommen, welche früheren Rituale zur Stressbewältigung heute nicht mehr notwendig sind und dass es nicht ganz überraschend dieses Jahr vor allem die trostspendenden Bücher sind, zu denen die Kund/innen greifen. Illustrationen: Shutterstock, Jorghi Poll.


Magda Birkmann, Buchhandlung ocelot, Berlin:

Nach dem letztjährigen Weihnachtsgeschäft, das meinen Kolleg/innen und mir dank Lockdown-Panik, der Durchsetzung ständig wechselnder Hygienevorschriften gegenüber oft uneinsichtiger Kundschaft und einer allgemeinen angespannten Grundstimmung, die sich auch bei Verkaufsgesprächen in unserem Laden immer wieder Bahn brach, so viel Kraft abverlangte wie noch keines zuvor, sahen wir dem Dezember 2021 eher bangend entgegen. Doch zumindest was diese Grundstimmung und das Verständnis für die Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen angeht, hat sich die Lage hier bei uns im Vergleich zum letzten Jahr deutlich verbessert. Statt über Maskenpflicht und Personenbegrenzung zu diskutieren, können wir uns dieses Jahr dringlicheren Problemen widmen. Zum Beispiel den Folgen der globalen Papierkrise, die wir in Form von Lieferverzögerungen zahlreicher Spitzentitel deutlich zu spüren bekommen. Mit einer passenden Empfehlung schaffen wir es trotzdem meistens, unsere Kundschaft über die mangelnde Verfügbarkeit ihrer Wunschtitel hinwegzutrösten. Am meisten verkaufen wir momentan Bücher, die in Zeiten von Isolation und Einsamkeit Trost spenden: Katherine Mays Sachbuch „Überwintern. Wenn das Leben innehält“ und auch Daniel Schreibers Essay „Allein“ gehören zu unseren absoluten Dezember-Bestsellern. Geht man nach unseren Verkaufszahlen, dürften außerdem Tove Ditlevsens Trilogie „Kindheit“/ „Jugend“/ „Abhängigkeit“ sowie der Roman „Phon“ der niederländischen Autorin Marente de Moor dieses Jahr unter vielen Berliner Weihnachtsbäumen liegen.


Barbara Kadletz, Hartliebs Bücher, Wien:

Der Mensch, sagt man, ist ein Gewohnheitstier, und so hatten wir „die Wundervolle“ zu unserer eigenen Überraschung mit einigen routinierten Handgriffen schnell wieder in den Lockdownmodus verwandelt. Heißt: im Webshop und Versand volle Kraft voraus, das Telefon-Headset auf, und Mails beantworten bis die Finger bluten. Am Nachmittag legen wir dann Schiunterwäsche an, stellen eine Plexiglasscheibe zwischen uns und die Welt (gibt’s da mittlerweile beheizte Modelle?) und reichen unseren lieben, treuen Kund/innen die vor unserem Geschäft geduldig in der Schlange stehen (DANKE!) ihre vorbestellten Bücher durch die geöffnete Türe. Stichwort: Click & Collect.

Wir gehen sehr viel. Im Laufschritt. Zwischen Tür und Kassa und Lager und in den ersten Stock hinauf und manchmal über die Straße zur Warenübernahme. Die Bestellungen, sie sind überall, denn wir haben – Lockdown-Routine hin oder her – dann doch keine megalomanische Lagerhalle in amazonschem Ausmaß errichtet über den Sommer. Vielleicht ein Fehler, denn das Specialfeature des Weihnachtsgeschäft 2021 heißt ja: Papierknappheit! Deshalb stapeln sich nicht nur die Kund/innenbestellungen, sondern auch unsere Hamsterkäufe an Büchern, die wir aus lauter Angst vor einer Meldenummer „Nachdruck unbestimmt“ eingelagert haben wie Frederick die Sonnenstrahlen. Jedenfalls bis heute. Denn gestern hat ja wieder der charmante Teil des Weihnachtsgeschäfts mit Stöbern und Gustieren im Laden und dem ausgiebigen persönlichen Empfehlen unserer Lieblingstitel begonnen. Und dieser Teil ist bitter nötig, denn wie hat es Jorghi Poll in seinem letzten Editorial formuliert? Jetzt ist die Zeit im Jahr, in der sich „alles über Wohl und Wehe“ im Buchhandel entscheidet. Und Click & Collect ist eben nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.


Johannes Kößler, Seeseiten Buchhandlung, Wien:

Die Weihnachtsgeschäft ist immer herausfordernd. Als ich noch in einer Buchhandlung in einem der größten und ältesten Einkaufszentren Österreichs gearbeitet habe, haben mir meine Eltern, nachdem ich am Abend des 24. komplett fertig zu Ihnen nach Hause gekommen bin, einen Weihnachtsmann aus Stroh auf der Terrasse geschenkt. Wir haben Glühwein gemacht, den Weihnachtsmann mit Feuerzeugbenzin übergossen und uns im Schein des darauffolgenden Feuers gewärmt. Danach haben wir gemeinsam Weihnachten gefeiert.

Weihnachtsgeschäft im Lockdown ist nicht nur herausfordernd, es ist frustrierend. Es ist frustrierend, in einer Buchhandlung ohne Kunden, für jeden Cent Umsatz dreimal so viel arbeiten zu müssen und täglich gegen das sich immer stärker ausbreitende Chaos in der Buchhandlung ankämpfen zu müssen. Unser Reinigungsritual? Die Quelle unserer Kraft? Das sind unsere Kundinnen und Kunden. Der Dank, wenn wir Büchersackerl liefern, die guten Rückmeldungen, die freundlichen Mails, das Verständnis, der Zusammenhalt, die Geduld und – und das ist zentral – das Team: Die Kolleg/innen, die tagtäglich mit Mut, Witz, Kraft, Geduld, Herz und Freude dabei sind, die richtigen Geschichten und Geschenke zu finden und die sich – egal wie müde – über jeden Wunsch und jedes Danke der Leser/innen freuen. Ich brauche keine Strohfeuer mehr. Mut, Kraft, Zusammenhalt und Humor, der Dank unserer Leserinnen und Leser wärmt und stärkt uns Tag für Tag. Danke!


Sophie Weigand, Buchhandlung Thalia, Lübeck:

„Hallo“, ich sehe ein kleines Mädchen mit einem Spielzeugauto aus der Menge auf mich zukommen, „hast du einen Schraubenzieher?“ Es ist wieder Weihnachtsgeschäft. Diese besinnliche Zeit im Jahr, in der alles außer Besinnlichkeit herrscht und der ganze fröhliche Irrsinn des Handels auf wenige Wochen komprimiert wird. Denke ich an das Corona-Weihnachtsgeschäft 2020, erinnere ich mich vor allem an die beschränkte Zahl Kund/innen, die gleichzeitig den Laden betreten durften. Um das zu gewährleisten, hatte sich jede/r am Eingang einen Korb zu nehmen. Waren alle Körbe weg, wurde der Zutritt kurzzeitig verboten, als sei die Buchhandlung plötzlich der neue heiße Nightclub. Stunden konnte man allein damit zubringen, Körbe vom Ausgang wieder zum Eingang zu tragen und Unbelehrbaren den Sinn dieser Maßnahme zu erklären. 2021, bei vielfach höheren Infektionszahlen: nichts davon. Jede/r kann wieder, wie er oder sie will. Ein Mann betritt mit seiner Maske irgendwo unter der Nase den Laden und fragt nach Esoterikbüchern. Wenig überrascht geleite ich ihn zum Regal. Zum Glück hat Sebastian Fitzek, wie jedes Jahr um diese Zeit, ein neues Buch veröffentlicht, das erleichtert vielen die Suche nach einem passenden Buchgeschenk. „Das Café am Rande der Welt“ und all seine Abkömmlinge sind nimmermüde Bestseller in einer Zeit, die sich mehr nach „Ende der Welt“ anfühlt. Ab und an bringen nette Kund/innen Pralinen und animieren zum Durchhalten. Es ist wie immer – und doch anders als in präpandemischer Zeit.