In ihrem Roman „Die polyglotten Liebhaber“ erzählt Lina Wolff von einer von Männern verzerrten Welt und den Folgen. Ein Gespräch über die weibliche Dimension des Schreibens, Michel Houellebecq, den Literaturnobelpreis und die Selbstfindung der Frau (aus Buchkultur 180, Oktober 2018).

Buchkultur: Was inspirierte Sie zu Ihrem Roman „Die polyglotten Liebhaber“?

Wolff: Ich las einige Romane des französischen Autors Michel Houellebecq. Ich mochte seine Sprache. Ich mag seine Erzählstimme. Er schreibt sehr oft aus der Perspektive einer dritten Person, was ich auch mache. Ich interessiere mich normalerweise sehr für diese Art von Texten, die die Welt aus einem tiefen Blickwinkel heraus und von einem objektiven Standpunkt aus betrachten. Ich fühlte mich also in gewisser Weise sehr angezogen von seinen Romanen. Auf der anderen Seite hatte ich eine kleine Krise. Seine Art, auf bestimmte Dinge zu schauen, ist sehr modern und sehr typisch für die Zeit, in der wir leben. Aber auch ziemlich unangenehm, besonders, wenn man eine Frau ist oder irgendeiner Minorität angehört. Das war meine Situation, dass ich diese Ambivalenz hatte. Denn wenn er ein schlechter Autor wäre oder unfähig wäre, einen Roman zu schreiben, dann wäre er nicht interessant für mich gewesen. Dann hätte ich einfach sagen können: O. k, das ist einfach ein schlechter Autor mit ein paar schmutzigen Ideen, darum muss ich mich nicht kümmern. Aber in diesem Fall hatte ich das Gefühl, etwas damit tun zu müssen. Ich konnte nicht einfach weitermachen und ein Buch über etwas anderes schreiben. Ich hatte das Gefühl, auf irgendeine Weise Gebrauch davon machen zu müssen. Ich wollte nicht polemisch sein, denn ich sehe mich nicht als polemische Person. Ich wollte etwas Spielerisches machen. Ich wollte eine Antwort auf seine Gedanken schreiben. Und ich wollte, dass einige meiner männlichen Charaktere von ihm inspiriert sind. Ich wollte diesen Spiegel hochhalten und sagen: Das passiert, wenn man diese Ideen in die Tat umsetzt und man diese Art auf bestimmte Menschen, auf Frauen zu schauen, anwendet. Das ist es, was passiert, und so sehen wir es. Das ist vielleicht nicht das wahrscheinlichste Resultat – mein Buch ist ein Roman. Ich benützte meine Fantasie, um Situationen zu erschaffen. Aber ich wollte es in die Praxis umsetzen und eine Art Spiel mit Houellebecq machen. Ich entdeckte, dass das eine nette Art ist, mit Gedanken und Ideen umzugehen: Sie in den Rahmen von Fiktion zu stellen. Und dann verliert man diese Art von Traurigkeit, Frustration oder Zorn, denn diese Gedanken werden spielerisch und Teil deines Spiels. Nachdem ich „Die polyglotten Liebhabern“ beendet hatte, war das kein Thema mehr für mich. Ich hatte das Gefühl: O.k., ich habe mich damit beschäftigt, jetzt ist es gut, jetzt kann ich mit anderen Sachen weitermachen. Insofern fühlte es sich gut an.

Sind „Die polyglotten Liebhaber“ eine Art nicht-zynische Antwort auf Houellebecq?

Ich wollte eine Antwort schreiben, eine spielerische, wenn möglich. Ich schätze, mein Buch ist auf gewisse Weise auch zynisch. Zumindest meine Charaktere sind ziemlich ichbezogen und haben nicht immer einen besonders konstruktive Annäherung ans Leben, gelinde gesagt… Aber es ist meine persönliche Meinung, dass Zynismus reizvoll sein kann, da er oft von klugen, sarkastischen Köpfen ausgedrückt wird, und, ja, eine zynische Weltsicht kann sich ziemlich gut mit der Welt vertragen, da die Welt auf viele Arten zynisch ist. Aber das Problem mit Zynismus ist, dass er uns nicht wirklich irgendwohin bringt. Ich spüre, dass es meinem Leben an Sinn mangeln würde, wenn ich mich dem Zynismus ergeben würde. Es muss Hoffnung geben, Lachen und Wärme, und manches davon scheint vielleicht auch durch ein zynisches Setting hindurch.

Ihre Intentionen sind also andere?

Houellebecq ist ein sehr intelligenter Mensch und ein sehr intelligenter Schriftsteller. Ich glaube, dass er auch einen Kult um sich herum gebaut hat, der auf seiner Fähigkeit zu provozieren beruht. Das ist es, was er tun will. Und darin ist er auch wirklich gut. Wenn man in sein Herz schauen könnte – vielleicht ist er nicht so zynisch, ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass es seine Intention ist, nicht zynisch zu sein. Aber meine Intention ist es, nicht zynisch zu sein. Unsere Intentionen sind andere, ja.

Was ist das Verstörende an Houellebecq? Ist es seine Beschreibung des Alterns von Frauen?

Unter anderem. Aber nicht nur bei Houellebecq. Generell gibt es zu viel negativen Fokus auf das Altern von Frauen. Jedes Altern ist eine Herausforderung. Jedem Altern mangelt es an Glamour – wenn wir uns denn entscheiden, in dieser Weise darauf zu blicken. Ich denke, wir sollten versuchen, mit Würde zu altern, Männer und Frauen, und versuchen, uns auch in diesem Stadium des Lebens schätzen zu können. Ein Mensch mit einem schlechten Charakter wird im Alter schlechter, einsamer, bitterer, zynischer. Abgesehen davon werden die Menschen von heute sehr alt werden. Wenn es uns nicht gelingt, das gut zu machen, werden wir mehr als die Hälfte unseres Lebens in purem Elend verbringen. Einen guten Verstand, gesunde Körper, aber ans Unglück gefesselt, nur weil wir nicht mehr jung sind. Keine gute Option! Der Mensch ist großartiger als das.

Der Autor Max Lamas in „Die polyglotten Liebhaber“ schreibt ja auch sehr verstörend über das Altern der Frauen. Zumindest in der ersten Version seines gleichnamigen Manuskripts. Er ist sehr grausam im Umgang mit seinen älteren Liebhaberinnen.

Wolff: Ja, das ist wahr. Das ist er. Und es ist sehr brutal. Es ist ein Problem für alle Frauen. Es ist ein Thema im Leben jeder Frau. Jeder wird älter. Ab einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens muss man sich mit dem Älterwerden auseinandersetzen. Und das kann auf so viele Arten gemacht werden. Es ist eine Herausforderung. Aber heute stecken wir in einer negativen Sicht auf das Altern, besonders von Frauen, fest. Es könnte anders gelebt werden, wenn wir es schaffen würden, von diesem männlichen Blick auf uns selbst wegzukommen. Man nennt es den männlichen Blick auf die Frauen. Aber wir übernehmen diesen Blick auf uns selbst. Er wird zu unserem. Es könnte wunderbar sein, befreit zu werden und diesen männlichen Blick zu befreien. Denn Altern ist ein Thema unseres Lebens, und wie alle Themen unseres Lebens, kann es Möglichkeiten aufzeigen. Älter zu werden, hat ja auch etwas Gutes. Man wird tatsächlich weiser. Ich sehe das an mir selbst. Ich bin fast 45, ich bin so viel weiser als mit 25. Und ich kann meine Weisheit nützen. Ich glaube, ich bin heute ein besserer Mensch. Ich bin weniger egoistisch und ich kümmere mich mehr um Beziehungen. Ich sehe sehr viele Vorteile darin, älter zu werden. Es wäre so schön, wenn wir als Gesellschaft in der Lage wären, diese Eigenschaften mehr zu schätzen und nicht so zynisch zu sein. Das Problem mit Houellebecq ist, dass Zynismus so schick sein kann. Es kann sehr attraktiv sein, die Welt auf zynische Weise zu sehen. Aber das Problem damit ist, dass es uns als Menschen nicht weiterbringt. Es führt uns zu nichts. Wir stecken dann einfach nur in einer sehr kalten Sicht auf die Welt fest, während wir so viele Möglichkeiten haben, so viele verschiedene Dinge zu sein. Wir sollten uns nicht darauf reduzieren. Das ist ein grundlegender Gedanke, der sich durch die „Polyglotten Liebhaber“ zieht. Aber auch mir hat man oft gesagt: Warum sind deine Bücher so zynisch? Vielleicht kommt das ja nicht durch, aber das sind die Gedanken, die ich dazu habe.

Sie persiflieren den männlichen Literaturkanon?

Darüber denke ich viel nach. Denn in unserem westlichen Kanon haben wir so viele männlichen Autoren, und das ist sehr verständlich, weil Frauen erst in den letzten Jahrhunderten begannen zu schreiben. Es gab einige Nonnen im Mittelalter, die einige interessante Sachen schrieben, aber im Allgemeinen waren Frauen nicht Teil des Kanons. Das führte natürlich dazu, dass der Kanon von Männern artikuliert wurde. Und wir haben außergewöhnliche Männer darunter. Ich habe eine große Liebe zu vielen männlichen Dichtern und Schriftstellern wie Cervantes, Dante. Als Schriftstellerin kommt man aus dieser Tradition. Es ist nicht wirklich so, dass man zurückgehen könnte zu weiblichen Wurzeln und in sich selbst eine weibliche Art und Weise finden würde, sich auszudrücken. Denn die gibt es nicht. Wir haben das nicht. Wenn man das Gilgamesch-Epos von 2700 vor Christus betrachtet: Das ist von Männern geschrieben, und dann haben wir die Griechen und dann das Neue Testament und davor das Alte Testament. Im Mittelalter haben wir die Epen, wie die Island-Sagas, die Nibelungen und Dante – alles wurde von Männern geschrieben. Es gibt kein weibliches Schreiben, auf das wir zurückgreifen könnten. Aber man hat einen Weg, sich selbst zu erfinden. Das Wissen zu bekommen, wer ich bin, und welche Art zu schreiben ich wählen werde. Es ist ein bisschen so, wie in einem kolonialisierten Land Schriftsteller zu sein: Um sich ausdrücken, muss man vorher die Sprache der Kolonisten lernen. Ansonsten wird man keine Leserschaft haben. Man muss in der Lage sein, in dieser Sprache zu schreiben. Das habe ich auch getan. Ich habe eine ungesunde Menge an männlicher Literatur gelesen, und ich habe viel davon sehr geschätzt. Es ist ein Teil von mir, und ich bin glücklich darüber. Aber in all dem möchte ich mir meiner selbst bewusst sein, und möchte ich auch, dass es meine Leser sind, und dass wir auf eine bestimmte Weise darauf schauen können und damit spielen können. Und wir können sagen: O.k., was kann weibliches Schreiben sein? Dann weiß ich nicht, ob mein Schreiben weibliches Schreiben ist. Das ist nur Spekulation, denn das kann man nicht wirklich wissen. Aber wir können uns dessen bewusst sein, wo wir herkommen und wie uns das beeinflusst.

Sie halten uns den Spiegel vor.

Ja, genau. Wenn man diese Meisterwerke liest, Cervantes´ „Don Quijote“ zum Beispiel: Es gibt so viele Arten und Weisen, es zu lesen, aber es reden fast nur Männer darüber. Wenn man als Frau über etwas zu sprechen beginnt, muss man von einem Gender-Standpunkt aus sprechen. Ich denke, wir werden das einige Zeit, einige Jahre lang, machen. Aber dann wird die Situation kommen, in der wir als Frauen „Don Quijote“ ganz normal ohne Gender-Brillen lesen können. Aber wenn ich es jetzt lese, sehe ich, dass Cervantes in Teilen des Buchs tatsächlich eine Art eines sehr frühen Feminismus artikuliert. Da gibt es eine Frau, die eine Herde von Schafen hat, und sie entscheidet sich, alleine zu leben, abseits der Gesellschaft, und unabhängig zu sein. Ich habe nie gehört, dass in der männlichen Lesart dieser weibliche Charakter in „Don Quijote“ zur Sprache gekommen wäre. Das ist erstaunlich.

Ellinor im Buch wird von einem Mann, den sie über ein Dating-Portal kennenlernt, Gewalt angetan. Dennoch bleibt sie lange bei ihm. Weshalb?

Das werde ich sehr oft gefragt. Das ist das verstörende Element des Romans, dass sie tatsächlich bei ihm bleibt. Und nicht nur das: Sie bemüht sich sehr, ihn zu verstehen. Das kann man über Calisto nicht sagen. Er fragt nie, was sie gelesen hat oder welche Filme sie gesehen hat, um sie sich anzuschauen, damit er versteht, wie sie denkt. Er tut das nicht. Und sie versucht wirklich, in seinen Kopf einzudringen: Was hast du gelesen. Es scheint vielleicht wie eine Art Unterwerfung von ihrer Seite aus. Es kann von außen als solche gesehen werden. Aber auf der anderen Seite ist das, was sie tatsächlich tut, sehr schlau und sehr tiefgehend. Denken Sie an die Geschichte des Meisters und des Sklaven: Sie werden immer die Positionen wechseln, denn der Sklave wird sich sehr anstrengen, seinen Meister zu verstehen. Am Ende wird er schneller und fitter sein und mehr Spielfiguren auf seinem Brett haben als der Meister, der sich ausruht. Und das spielt sich hier ab. Ellinor wird die Karten seiner Psyche haben. Sie wird in der Lage sein, ihn zu verstehen und am Ende wird sie vielleicht sagen: O.k., das war nicht so viel, wie ich gedacht habe. Sie schließt diesen Prozess nicht ab, weil diese Sache mit Max vorher passiert und sie Calistos Haus mit ihm verlässt. Aber sie hat ein exzellentes Verständnis von Menschen und Literatur. Sie ist wie ein ungeschliffener Diamant. Sie hat keine besondere Bildung, sie kann mit Calistos Geist nicht mithalten, aber sie hat dieses wirklich gute Bauchgefühl. Sie kann ihren Weg finden. Sie arbeitet hier mit etwas. Wenn sie bei Calisto bleiben würde, würde sie in sehr kurzer Zeit sehr wachsen. Manchmal sind wir mit Menschen zusammen, weil wir an ihnen wachsen. Und wir jemand werden, der wir vorher nicht waren. Wir haben vielleicht eine Notwendigkeit, so jemand zu werden, aus den verschiedensten Gründen, die wir vielleicht selbst nicht verstehen. Ellinor empfindet eine Art Neugierde, und sie fühlt sich auch seltsam von ihm angezogen, und das sind starke Elemente in einem Menschen. Es ist vielleicht unerklärlich, andererseits fühle ich sehr klar, dass sie bei ihm bleibt. Und manchmal versuche ich auch, meine Charaktere zu sehr zu analysieren. Ich kann nicht alles verstehen, was sie machen, ich fühle nur, was sie tun.

Sie machen aber noch etwas anderes mit Sprache: Sie betonen damit die unterschiedliche Herkunft und Bildung Ihrer Charaktere. Auch die sozialen Gegensätze zwischen Stadt und Land werden mit Hilfe von Sprache herausgearbeitet.

Ich glaube, es ist wirklich wichtig zu wissen, dass sich die Charaktere tatsächlich durch Kunst, durch Sprache darstellen. Ich muss auch sagen, dass der Übersetzer sehr, sehr wichtig ist. Ich bin selbst Übersetzerin. Ich weiß, welche Anstrengung es manchmal bedeutet, diese Dinge zu reflektieren. Der Übersetzer der „Poyglotten Liebhaber“, Stefan Pluschkat, hat wunderbare Arbeit geleistet, auch bei meinem letzten Buch. Das ist auch Teil der Polyglottie im Roman: Wenn man sagt, dass man einen polyglotten Roman schreibt, dann muss man es an den Charakteren erkennbar machen. Polyglottie bedeutet hauptsächlich zweierlei in meinem Roman: Die Sehnsucht nach Verständnis. Wenn man ein Problem in seiner Beziehung hat und man geht zum Psychologen, bekommt man als erstes gesagt, dass der Erste, mit dem man in einer Partnerschaft zu arbeiten beginnen muss, man selbst ist. Das ist sehr schmerzhaft, weil es sehr hart ist, mit sich selber zu arbeiten. Der Traum, dass eine Person, die alles über einen selbst verstehen kann und die Art, wie du dich ausdrückst, die deine Gefühle versteht und die Art, wie du bist, und die das mag und schätzt, und die an deiner Seite ist und dich für die Person, die du bist, schätzt – das ist etwas so Wunderbares, das wir vielleicht in unserer Kindheit hatten, wenn wir eine nette Mutter hatten, die uns auch dann mochte, wenn wir schlimme Sachen machten. Aber im wirklichen Leben funktioniert das nicht. Wir müssen durch Versuch und Irrtum gehen. Normalerweise versuchen Menschen, sich bis zu einem gewissen Grad zu ändern. Aber es ist schwierig. Es ist ein Traum, den Ellinor, Calisto und Max haben. Sie alle haben das. Und sie sind nicht wirklich fähig, aus sich selbst herauszublicken. Am ehesten noch Ellinor. Sie versucht, Calistos Person zu verstehen. Aber sie ist andererseits von außen betrachtet ein wenig polyglotter Mensch, denn sie spricht nur ihren Dialekt. Sie entspricht Max Lamas’ Traum von einer Liebhaberin, die seine elf Sprachen spricht und all dem nicht wirklich. Das ist der eine Teil der Polyglottie. Dann ist es auch die Sprache des Autors im Buch, Max Lamas. Und in literarischer Hinsicht meint es auch eine Art und Weise, wie der Autor mit verschiedenen Standpunkten arbeiten kann. Dostojewski zum Beispiel schafft es, so viele verschiedene Standpunkte und Reden in seinen Romanen zu verwenden, dass man nicht wirklich weiß, was Dostojewski selbst denkt. Und das ist eine tolle Art zu schreiben, das ist eine polyglotte Art zu schreiben: Die Protagonisten können existieren und ihre Würde haben im Roman, auch wenn wir als Autor vielleicht nicht mit ihnen übereinstimmen. Ich glaube nicht, dass ich das geschafft habe, aber das ist immer meine Absicht, wenn ich schreibe, dass niemand über den anderen gewinnen muss: Zwei mehr oder weniger gleichgestellte Protagonisten zu haben, die einander wirklich treffen. Der Punkt, an dem sich ihre Wege kreuzen, ist sehr wichtig, und ich möchte, dass sie ihre Würde haben. Auch das ist eine Art polyglotten Schreibens, dass man will, dass diese Diskurse existieren können.

„Die polyglotten Liebhaber“ enden versöhnlicher als Ihr Vorgängerroman „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“.

Ja, das ist wahr, ich glaube, Sie haben Recht. „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“ ist in gewisser Hinsicht sehr pessimistisch. Es endet damit, dass Valentino es Araceli überlässt, einen Nachruf auf seine Geliebte Alba zu verfassen, weil er es nicht selbst machen möchte. Es gibt ein mögliches Happy End in „Die polyglotten Liebhaber“. Ich bin glücklich darüber. Ich glaube, es wird irgendwo im Buch gesagt: Alle guten Romane enden schlecht. Das sei die Voraussetzung für einen guten Roman: ein unglückliches Ende. Dieses Manuskript lebte fünf Jahre bei mir. So lange brauche ich mehr oder weniger, um ein Buch zu schreiben. Diese Zeit deines Lebens ist natürlich eine andere als die der fünf Jahre davor, als man an seinem früheren Buch schrieb. „Die polyglotten Liebhaber“ reflektieren einen größeren Optimismus. Als ich „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“ schrieb, ließ ich mich gerade scheiden. Es ist logisch, dass das neue Buch einen optimistischeren Blick auf Beziehungen hat. Manchmal war ich so erstaunt, dass ich es geschafft habe, dieses Buch zu schreiben. Denn es war nach der Scheidung, und das Leben nach einer Scheidung ist so merkwürdig, alles ist schwebend und wird sehr seltsam. Dieses Buch zu schreiben war ein Fixpunkt, an den ich mich halten konnte, etwas, das nicht dauernd in Bewegung war. In dem Buch bewegt sich vieles. Aber es war zumindest ein Projekt, sich jeden Tag drei Stunden hinzusetzen und meine fünf Seiten zu schreiben. Und das war ein starker Fixpunkt in einem ziemlich chaotischen Leben. Das Buch, das ich gerade schreibe, ist wieder etwas anderes, was auch nett ist. Nach all dieser tumultösen Zeit meines Lebens bin ich gelandet. Ich möchte ja nicht immer und immer wieder dasselbe Buch schreiben. Das ist einfach und passiert vielen Schriftstellern. Man hat eine grundlegende Lebensidee und damit arbeitet man immer und immer wieder.

Bret Easton Ellis mögen Sie weniger als Michel Houellebecq?

Für Bret Easton Ellis fühlte nicht dieselbe Faszination wie für Houellebecq. Ich fühle mich von ihm fasziniert, das schon. Aber „American Psycho“ empfand ich beim Lesen als ein bisschen zu mechanisch. Ich denke, er selber macht ein Prinzip daraus. Er möchte den Lesern vielleicht zeigen, dass das eine absurde Art ist zu denken. Auf eine bestimmte Art ist er sehr ironisch. Aber wenn ich als Frau diese Art von Literatur lese, fühle ich mich verletzt. Warum soll ich das lesen? Warum soll ich über Frauen lesen, die getötet werden? Das ist das sehr, sehr große Missverständnis in unserer Kultur, dass weibliche Körper auf diese Weise, zur Unterhaltung benutzt werden dürfen. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Südschweden. Als ich fünfzehn war, gab es dort einen schrecklichen, schrecklichen Mord an einem zehnjährigen Mädchen. Ich erinnere mich daran, es war die Schwester eine Freundin von mir. Sie verschwand für drei Tage, und dann war es wie in einem Horrorfilm. Alles, was passierte, die Folgen dieses Mordes für uns in unserem Dorf. Es ist dreißig Jahre her, aber die Menschen dort trauern immer noch um sie und deshalb. Unsere Mütter wurden verrückt, sie ließen uns nichts mehr machen, wir konnten nicht raus, sie wollten alles überprüfen, wollten nicht, dass wir mit dem Müll rausgingen, sie wollten, dass wir drinnen bleiben. Das ist verständlich, denn so reagiert man, wenn man weiß, dass da draußen ein Mörder herumläuft. Ich habe das früh in meinem Leben erlebt, was dieses Gefühl bedeutet. Und wenn ich das als zugrundeliegende Szene in Filmen oder Thrillern oder Büchern sehe oder lese, fühle ich mich sehr schlecht angesichts der Art und Weise, wie man begonnen hat, das zu benutzen. Wir sollten das nicht tun. Das ist nicht in Ordnung und nicht gut. Dass so etwas als Unterhaltung benützt werden kann, ist vollkommen unverständlich. Das ist kein Weg, eine Geschichte zu erschaffen. Eine Geschichte sollte um andere Dinge herum kreiert werden, nicht um tote weibliche Körper. Das ist ein tiefes Missverständnis. Das war mein Hauptpunkt gegen Bret Easton Ellis. Er rührte an etwas sehr Tiefliegendes in mir, auf das ich reagieren musste, aber auf eine sehr viel weniger ambivalente Weise als bei Houellebecq.

Wie sollen Mädchen und junge Frauen in unserer pornografisierten Kultur ein gesundes Selbstbild und Selbstverständnis aufbauen? Dazu kommt noch die Flut digital bearbeiteter Bilder von Magermodels, die als Vorbilder propagiert werden.

Ich habe keine Töchter. Mein Sohn ist siebzehn. Aber der Sohn meines Partners hat zwei Töchter. Daher mache ich mir darüber auch ziemlich viele Gedanken. Wenn ich es, abgesehen von dem schrecklichen Mord, der in meinem Dorf passierte, mit der Zeit vergleiche, in der ich aufgewachsen bin: Ich war sehr viel geschützter und so vielen wunderschönen Sachen ausgesetzt. Mein Vater und ich sprachen über die Sterne und das Universum, und meine Großmutter erzählte mir wunderbare Geschichten. Ich dachte an andere Dinge. Mein Vater nahm uns viel mit in die Natur. Wir hatten diese wirklich schönen Sachen, an die wir dachten. Wir lasen viel. Wir hingen viel rum. Wenn ich es mit den jungen Mädchen von heute vergleiche: Ich hatte die Möglichkeit, meinen Kopf mit vielen wirklich netten Sachen zu füllen, und dafür bin ich dankbar. Heute ist es für junge Mädchen und junge Frauen viel schwieriger. Man muss sich sehr bewusst machen, was die großen Vorteile unserer Zeit sind. Denn es ist ja nicht so, dass das die einzigen Sachen sind, die wir finden, auch wenn es wirklich viele davon gibt. Aber es gibt auch eine Menge andere Sachen. Wenn ich junge Frauen und Mädchen treffe, versuche ich, über andere Dinge zu sprechen, gemeinsam an anderes zu denken, reiten zu gehen oder Sachen in der Natur zu machen. Ich versuche, diesen gesunden Blick auf sich selbst zu wecken. Es ist doch eine wunderbare Sache, jung zu sein! Das sollte genossen werden. Es ist eine wunderbare Zeit deines Lebens. Man ist auf natürliche Weise dünn und wunderschön und all das, und das ist wunderbar. Es sollte nicht in etwas Negatives verkehrt werden. Das ist eine große Herausforderung, und man kann sich Mühe geben, wenn man älter wird, ein guter Sparringspartner zu sein für junge Frauen. Manchmal werde ich von Schulen eingeladen, Workshops für junge Menschen zu halten, und das ist wirklich sehr nett, denn dort kommt man in sehr enge Gespräche mit jungen Frauen und erfährt, was sie darüber denken. Ich versuche, kleine Sachen zu machen, ein bisschen so, wie ich es ja auch selbst mache: O.k., wenn das ein Problem für dich ist, dann versuche, eine Geschichte daraus zu machen, versuche, andere Charaktere hineinzustellen und lass diese sich damit auseinandersetzen. Es ist wirklich wichtig, nicht steckenzubleiben in diesem schmutzigen See von schrecklichen Dingen, die wir heute haben. Natürlich muss man sich als Person, als Mensch bemühen. Es gab keine Generation, außer vielleicht meiner, die nicht mit einem größeren Problem aufgewachsen wäre wie zum Beispiel Krieg. Wir hatten Glück. Wir wuchsen in den Achtzigern und Neunzigern auf, das waren gute Jahre für uns. Vielleicht waren sie es nicht für die ganze Welt, aber für uns waren es wirklich gute Jahre. Das ist ein großes Privileg. Es ist nichts Garantiertes. Für junge Frauen heute sind das die Herausforderungen: Wie man sein inneres Glück behält und sich selbst helfen kann, und als Mensch und Frau stark wird.

Einer deutschen Studie zufolge gewinnen Männer fünfmal so viele Literaturpreise wie ihre Kolleginnen. In den Jurys der hochdotierten Preise sitzen nur 23 Prozent Frauen. Werke von Autorinnen werden weniger oft übersetzt und weniger häufig in den Feuilletons besprochen. Der Nobelpreis ging 99-mal an einen Mann und nur 14-mal an eine Frau. Dabei gibt es sehr viel mehr lesende Frauen als Männer. Was sagen Sie dazu?

Ja. Aber man muss es auch im Licht der Tradition sehen. Die, die die Möglichkeit hatten, zu schreiben – das waren die Männer. Was also den Literaturnobelpreis betrifft: Zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren vielleicht nicht so viele schreibende Frauen vertreten. Wir haben Selma Lagerlöf. Ich bin sehr froh, dass sie den Nobelpreis bekam, und sie hat ihn auch gut genützt. Das wird sich ändern. Wir werden in Zukunft sehr viel mehr Nobelpreisträgerinnen haben, falls es die Akademie dann noch geben wird. Es wird ein Bewusstsein dafür geben. Ich muss hoffen, dass sich das ändern wird. Es gibt so viele großartige Schriftstellerinnen. Das muss natürlich reflektiert werden.

Sollen Gremien, Jurys paritätisch besetzt werden? Die Studie sagte auch, dass männliche Rezensenten meist männliche Autoren bevorzugen, Frauen dagegen aber männliche Autoren nicht von vornherein übergehen.

Wenn man sich ansieht, wie Frauen und Männer schreiben: Man kann sehen, dass mehr Frauen in die männliche Erzählperspektive gehen können. Was einleuchtend ist, da wir ja in einer männlichen Perspektive leben. Es ist sehr einfach, diese als Frau anzunehmen. Ich glaube, dass es für einen Mann schwieriger sein kann, wirklich in die weibliche Perspektive zu gehen. Aber auch das ändert sich. Nehmen Sie einen Autor wie Stephen King – einer seiner besten Romane ist „Dolores Claiborne“, – und er schreibt ihn aus der Sicht der Frau. Das ist so gut. Das ist so eine wunderbare Frauenfigur, ich mag sie sehr, und ich mag die Weise, wie er sie beschreibt und die Stimme, die er ihr gegeben hat. Wenn Männer diese Möglichkeit einmal in Betracht ziehen, werden sie es häufiger machen, denn es macht wirklich Spaß, vom Standpunkt des anderen Geschlechts aus zu schreiben. Was die paritätische Besetzung betrifft: Ich weiß nicht genau, wie das in Schweden gehandhabt wird, aber ich kann mir vorstellen, dass in einer schwedischen Literaturjury paritätisch, fifty-fifty, besetzt werden müsste. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich weiß zum Beispiel, dass es viele Lektorinnen gibt, aber die Verleger üblicherweise Männer sind. Ich möchte die Dinge optimistisch betrachten, und ich denke, das wird sich ändern. Es ist sehr einfach für uns, männliche Literatur zu lesen, denn wir haben das so lange Zeit über gemacht, und wir wurden auch dahingehend erzogen, davon beeindruckt zu sein. Ich las zum Beispiel den Kanon westlicher Literatur des Kritikers Harald Bloom. Da ging es darum, was man lesen sollte und warum. Und die ganze Zeit über dachte ich, dass irgendetwas seltsam an dem Text war. Nach einiger Zeit erkannte ich, dass er ausschließlich über Männer sprach. Er sprach nur über männliche Autoren – ein männlicher Kritiker, der diese männlichen Autoren liest. Es war wie ein komplett geschlossenes Universum. Sogar, wenn man kein Interesse daran hat, wie es wäre: Lade Autorinnen zum Spiel ein. Es wäre doch interessant, mehr weibliche Sichtweisen zu haben.

Wie sollen junge Frauen und Mädchen eine eigene, weibliche Sprache und Identität entwickeln? Gibt es das überhaupt? Schreiben Frauen und Männer unterschiedlich?

Das ist so schwierig. Die belgische Feministin Luce Irigaray hat eine Theorie, dass es eine Art originäre weibliche Sprache gibt. Das ist ein interessanter Gedanke, aber wenn sie das in die Praxis umzusetzen versucht und von einem sehr feministischen Standpunkt zu schreiben versucht, wird diese Art weiblicher Sprache sehr parfümiert. Es klingt ein bisschen nach zu vielen Blumen, ein bisschen zu süß, würde ich sagen. Ich bezweifle nicht, dass es etwas gibt, das man weibliche Sprache nennen könnte. Das würde es bestimmt geben. Die Frage ist: Würde es geschriebene Sprache sein? Würde es etwas wie die Buchstabenabfolge eines Alphabets sein? Würde man das verwenden, oder würde man lieber Bilder verwenden oder andere Mittel, seine Ideen zu kommunizieren? Aber wir werden auf diese Frage nie eine Antwort bekommen, denn wir haben das Alphabet, das aus einer Abfolge von Buchstaben besteht und vielleicht nicht an ein ursprüngliches weibliches Sprechen angepasst ist. Aber das haben wir, um uns auszudrücken. Und wenn man sich die literarische Tradition anschaut und das wichtigste Buch überhaupt, die Bibel, das Neue Testament: Der weibliche Anteil daran beschränkt sich auf ein kommunikatives Bindeglied zwischen Männern. Wir haben Gott und Jesus und Maria, die nur ein kommunikatives Bindeglied zwischen den beiden ist. Wir haben keine weibliche Stimme in der Bibel. Wir werden es also nie wissen. Aber wir sollten deshalb nicht deprimiert sein, denn das würde nur unsere Kreativität und unseren Willen, uns auszudrücken, töten. Wir sollten hungrig sein auf das, was auf dem Tisch liegt. Man kann so viele männliche Autoren und Denker wählen, und das Schöne ist, man kann sich das heraussuchen, was man braucht. Man muss ja nicht alles wählen. Man kann das nehmen, was einen selbst fesselt und man selbst interessant findet, und es in seiner eigenen weiblichen Art verwenden. Oder man kann das nehmen, was einen glücklich macht und worüber man schreiben möchte. Optimismus ist der einzige Weg für die Welt.

Sind Sie optimistisch, dass wir trotz allem eine weibliche Sprache, Stimme entwickeln können?

Ich bin optimistisch, dass wir Bücher, die von Frauen geschrieben werden, entwickeln können, die auch für Männer interessant sind. Ich glaube, dass ich in „Die polyglotten Liebhaber“ einen sehr weiblichen Standpunkt vertrete, aber ich möchte definitiv männliche Leser. Ich möchte, dass Männer mein Buch lesen. Ich möchte nicht, dass sie sich schlecht fühlen. Vielleicht entdecken sie ja etwas, das sie mögen können. Das möchte ich, denn wenn man ein Buch über weibliche Themen schreibt und es wird nur von Frauen gelesen, werden diese sagen: O.k, das haben wir schon gewusst. Und vielleicht werden die Männer ein bisschen hineinfinden oder darüber lachen können. Wir können Bücher schreiben, die von beiden Geschlechtern gelesen werden und für beide Geschlechter interessant sind. Das ist es, was ich hoffe.

Sollen wir gendergerecht sprechen und schreiben?

Es ist sehr schwierig, korrekt zu sein. Schreiben braucht eine Sache, und das ist Aufrichtigkeit. Wir können auf bestimmte Weise lügen. Aber wir können nicht über die grundlegenden Mechanismen lügen. Es gibt biologische Mechanismen. Sogar, wenn wir uns mit ganzem Herzen und ganzer Seele wünschen, dass die Welt eine andere ist, wird sie es nicht sein. Wir können das nicht ändern. Aber man kann es auf andere Weise tun. Sinn für Humor ist sehr, sehr wichtig. Sinn für Humor nimmt auch den Irritationspunkt weg. Ich glaube, der Irritationspunkt ist sehr negativ, wenn man etwas erreichen will. Wie es mir mit Houellebecq ging. Ich fand es ein bisschen frustrierend und negativ und dachte, dass mich dieses Gefühl nirgendwo hinbringt. Es war von meiner Seite aus so, dass ich sagte, wie kann ich das benutzen, dass es für mich positiv ist. So kann ich aus dieser Blase herauskommen. Wenn ich mir überlege, was mir Houellebecq durch diese Frustration und das Negative gegeben hat. Ich schaffte es, ein Buch zu schreiben und ich bekam einen wichtigen Preis dafür. Und nun sitze ich hier und rede mit Ihnen. Also hat es offensichtlich etwas Richtiges gebracht. Es hat mich wohin gebracht. Das ist eine lustige, nette Art, sich damit auseinanderzusetzen. Und korrekt zu sein, würde das behindern. Ich habe ohnehin immer Angst, wenn ich meine Bücher schreibe, denn dann denke ich immer: Oh, das wird so viele Leute treffen, und sie werden verärgert sein. Und dann erscheint das Buch, und ich bin immer überrascht, wie verständnisvoll Kritiker und Journalisten sind. Man hat meinem Buch großes Verständnis entgegengebracht und einen großen Willen, es zu verstehen. Als ich das merkte, fühlte ich mich selbstbewusster, dann glaubte ich daran, dass ich das machen kann, dass ich schreiben kann und mich auf den Leser verlassen kann, dass der Leser es verstehen will. Korrektheit ist unheimlich.

Sie gelten als feministische Autorin. Sind Sie stolz darauf?

Ich bin glücklich, eine feministische Autorin zu sein. Das Einzige, was ich hoffe, ist, dass das Wort nicht mit zu vielen negativen Konnotationen für viele Leute belastet ist. Der Feminismus ist eine gute Sache. Wir brauchen vieles andere auch, aber den Feminismus auch. Ich bin stolz darauf. Feminismus kann auf so viele Arten verwirklicht werden. Als Feministin sollte man eine grundlegende Toleranz für andere Feministinnen und für andere Frauen haben, die dasselbe auf viele andere Weisen machen. Das kann ja auf viele Arten passieren. Das Wichtige ist, dass wir nicht gegeneinander zu kämpfen beginnen, sondern dass wir akzeptieren und verstehen, dass das auf vielerlei Weise getan werden kann. Der Feminismus ist der eine „ismus“, der es heute geschafft hat, und den ich positiv finde und der der Welt Gutes bringt. Und auch schon gebracht hat. Wenn ein Mann sich davor fürchtet, dann ist das nicht nur vollkommen unnötig. Es ist für Frauen und Männer besser, wenn wir herauskommen aus diesem Standpunkt und Zynismus. Das würde uns beide, Frauen und Männer, wachsen lassen würde. Das Ziel ist es, fähig zu sein, zusammenzuleben, einander zu finden und gute Beziehungen zu erschaffen. Ich schreibe ohne Ziel, also glaube ich nicht, dass ich jemanden verletzen oder bedrohen könnte, wenn ich sage, dass ich Feministin bin. Wenn das Wort allein jemanden verletzt – dagegen kann ich nichts tun. Ja, ich denke definitiv, dass ich eine feministische Autorin bin, und ich bin stolz darauf.

Es heißt oft, dass Frauen einander bekämpfen, während die Männer um sie herum Seilschaften bilden. Haben wir Frauen da noch Lernbedarf?

Frauen können auch sehr solidarisch sein. Als ich in Spanien war, machte ich viele neue Erfahrungen mit Frauen. Als ich meinen Ex-Mann, einen Spanier, heiratete, sagten die Leute zu mir: Oh, lebe nicht in Spanien, die sind so chauvinistisch dort und Frauen haben keine Macht dort und nur die Männer regieren die Gesellschaft. Aber das stimmte nicht. Frauen waren auf allen Ebenen sehr stark und mitwirkend. Ich machte mir manchmal eher Sorgen um die Männer. Wenn wir Abendessen hatten, sprachen die ganze Zeit über nur die Frauen, die Männer sagten gar nichts. Ich sagte zu meinem Mann: Warum sagst du ihnen nicht, dass sie reden sollen. Und er sagte zu mir: Nein, denn ihre Frauen haben so viel zu erzählen. Das war ganz anders, als was ich gewohnt war zu hören. Es gibt so viele Möglichkeiten für Frauen, sich miteinander zu verbinden und einander zu unterstützen. Als ich einmal krank war, kamen meine spanischen Freundinnen mit Essen zu meiner Wohnung. Sie kochten für mich, sie riefen einmal pro Tag an und gingen für mich in die Apotheke. So etwas habe ich in Schweden nie erlebt. Wir haben großartige Möglichkeiten, einander zu unterstützen. Aber es ist etwas, das man auch mit der Zeit lernt: Sich zu öffnen und herzlich zu anderen Leuten zu sein. Das bringt man uns manchmal auch bei, dass wir alle Rivalinnen sind. Nein, nein. Wir sind definitiv keine Rivalinnen. Wir sind eine Gemeinschaft. Und wenn wir junge Frauen treffen, sollten wir versuchen, sie zu fördern und zu unterstützen. Denn sie sind die Frauen von morgen. Es ist in unser aller Interesse, dass sie stark und selbstbewusst sein werden. Wir können von einem schwesterlichen Gesichtspunkt aus viel machen.

Wie ist es möglich, dass 41 Prozent der Frauen für Trump stimmten, jemanden, der offen sexistisch und rassistisch auftritt?

Was das Sexistische betrifft: Was ich jetzt sage, klingt wirklich traurig, aber ich glaube, wir sind so daran gewöhnt. Es tangiert uns nicht so sehr, wie man glauben sollte. Leider haben wir eine Fähigkeit dazu entwickelt, nicht hinzuhören. Ich weiß keine andere Erklärung dafür, außer, dass alle diese Frauen da weggehört haben und sagten: O.k., er ist ein Sexist, aber hier sind wir. Und dann gab es anderes, was für sie wichtiger war. Das ist eine erbärmliche Erklärung dafür. Ich weiß es nicht. Es ist sehr schwierig zu wissen.

Was halten Sie von der #MeToo-Bewegung?

Ich weiß es nicht. Am Anfang war ich sehr enthusiastisch. Es hat Vor- und Nachteile. Es ist sehr unangenehm für einen unschuldigen Mann, auf diese Weise beschuldigt zu werden. Das passierte einem Freund, und das war sehr unschön. Aber offensichtlich gab es ein großes Bedürfnis danach, das zu artikulieren. Abgesehen von den negativen Folgen und abgesehen von diesem komplett unschuldigen Mann, der ein Opfer davon wurde: Das Gute an #MeToo ist, dass in einem Büro, am Arbeitsplatz, niemand mehr sagen kann, dass er nichts davon wusste. Denn heute ist es eine Verpflichtung für einen Chef oder Boss, zu versuchen, Informationen zu bekommen, wenn solche Sachen passieren. Insofern hat es eine Art von gesellschaftlicher Blindheit weggenommen, und nun müssen wir hoffen, dass die guten Folgen zunehmen können, und es nicht umgewandelt wird in eine sehr unfaire Gerichtsverhandlung gegen Männer.

Die Schwedische Akademie, die jährlich den Literaturnobelpreis vergibt, wird den Preis nach schweren Missbrauchsvorwürfen gegen einen der Akademie nahestehenden Kulturfunktionär heuer aussetzen. Sie kennen den Mann, gegen den die Vorwürfe erhoben wurden?

Ich war mit ihm in Kontakt. Ich war in seinem berühmten Kunstklub „Forum“ eingeladen Ja, ich traf ihn einmal. Die Leute sagten mir: Halte Distanz. Das habe ich gemacht. Aber ich war wirklich überrascht, als all das herauskam. Ich wusste nicht, dass da so tiefgreifend war. Ich denke, nun wird die Gerichtsverhandlung beginnen und mehr Informationen bringen.

Haben Sie das Gefühl, dass die Debatten und der Diskurs darüber die Nobelpreisakademie auf lange Sicht gesehen zum Positiven verändern und vorwärtsbringen wird?

Oh ja, wenn sie es überlebt, wird sie anders sein. Es gibt da diesen Satz: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Hoffen wir es! Die Akademie wird vielleicht wieder eine gute Sache sein. Schweden ist ein kleines Land. Ich bin stolz auf den Nobelpreis. Es ist eine wunderbare Sache, dass ein kleines Land wie wir den Literaturnobelpreis vergibt. Wir haben keine großartige literarische Tradition wie Südamerika oder Deutschland. Wir sind ein kleines Land. Wir haben einige sehr gute Autoren, aber nicht diese große Zahl internationaler Schriftsteller. Es ist erstaunlich, dass wir den Literaturnobelpreis haben. Ich hoffe definitiv, dass wir damit weitermachen werden.

Elfriede Jelinek ist eine jener vierzehn Autorinnen, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Kennen, schätzen Sie sie?

Ich hatte eine kleine Einführung in ihr Werk, als ich „Modern Languages“ studierte. Sie steht definitiv auf meiner Leseliste, ich bin schon sehr neugierig. Ich sah den Film „Die Klavierspielerin“ mit Isabelle Huppert, von dem ich tief beeindruckt war. Jelinek ist eine dieser Nobelpreis-Gewinner, die großen Eindruck machen.

Von ihr ist auch der Antiporno „Lust“. Später erklärte sie dieses ihr Projekt für gescheitert, weil es keine weibliche Sprache für Sexualität gäbe.

Ich weiß nicht einmal, was weibliche Sexualität ist. Das ist wie mit der Sprache. Das ist dieselbe Sache. Wir sind so konditioniert. Sexualität ist auch etwas, was wir lernen. Wir lernen bestimmte Dinge durch das, was wir sehen, durch die Art der kulturellen Produkte, die wir konsumieren und durch die Art, wie Sex behandelt wird. Und Sex wird sehr viel behandelt: Wir haben so viele Möglichkeiten, sexuelle Situationen zu konsumieren, die in Literatur und in Filmen beschrieben werden. Und der Wunsch folgt dem, was wir sehen. Aber der menschliche Geist ist sehr flexibel und elastisch, und wenn wir etwas vollkommen anderes sehen würden, dann könnten wir sehr wahrscheinlich sehr viele verschiedene Dinge von einem sexuellen Standpunkt aus schätzen. Die Bandbreite der Sexualität ist sehr weit. Es gibt vieles, wodurch sich die Menschen geliebt fühlen können. Davon auszugehen, eine weibliche Sprache oder weibliche Sexualität zu finden, ist eine wunderbare Sache. Aber ich verstehe vollkommen, wenn man das nicht findet. Das muss eine große Herausforderung sein. Wo fängt man zu graben an?

Welche österreichischen Autorinnen und Autoren schätzen Sie noch? Kennen Sie das Land?

Mein erster Anhaltspunkt ist natürlich Elfriede Jelinek. Ich habe sie noch zu wenig gelesen. Ich war noch nie in Österreich, und wollte schon immer nach Wien. Ich habe diese Vorstellung, dass das eine wunderbare, sehr mitteleuropäische Stadt ist mit großen Häusern. Wenn mich jemand einladen würde, würde ich definitiv hinfahren. Das ist einer der Orte, von denen ich so viel Schönes gehört habe, und ich würde wirklich gerne hinfahren. Wenn man ein Buch schreibt, glaubt man, das war es. Aber so ist es nicht: Das Buch bringt einen an andere Orte, man trifft Menschen. Österreich ist ein typisches Beispiel dafür, wohin mich „Die Polyglotten Liebhaber“ bringen, auf eine neue und polyglotte Weise.

Auf Deutsch gibt es zwei Romane von Ihnen. Seit wann schreiben Sie?

Ernsthaft zu schreiben begann ich, als mein Sohn zwei war, 2003. Da sagte ich: O.k., vielleicht werde ich Autorin sein, und ich begann mit Kurzgeschichten. Jeder sagte mir: Niemand kann heutzutage eine Kurzgeschichtensammlung veröffentlichen, das ist unmöglich. Aber ich schaffte es, dass es veröffentlicht wurde. Ich schrieb immer auch für mich selbst. Und das habe ich immer genossen. Ich glaube, das ist wirklich gut, denn man schreibt dann viel und macht das gern. Eine Kurzgeschichte zu schreiben ist dann nicht so viel anders. Und wenn man einmal beginnt, Fiktion zu schreiben, erkennt man, dass das eine wunderbare Art eines Plots in einer eigenen Realität ist. Und wenn man herausfindet, dass Leute die Wirklichkeit, die man entworfen hat, lesen, dann ist das wundervoll. Ich schreibe seit fünfzehn Jahren. Das hört sich nach einer langen Zeit an, aber es ist nun einfach ein Teil meines Lebens.

Lina Wolff wurde 1973 in Südschweden geboren, wo sie auch heute wieder lebt. Sie studierte Moderne Sprachen, absolvierte eine Dolmetscherausbildung und hat einen Master in Internationalen Handel. Sie verbrachte mehrere Jahre in Spanien, Italien und Frankreich. 2009 erschien ein Band mit Kurzgeschichten. Auf Deutsch erschienen bisher „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“ sowie „Die polyglotten Liebhaber“, für den sie den August-Preis bekam. Wolff ist auch als Übersetzerin tätig.

„Die polyglotten Liebhaber“ (Hoffmann & Campe)
Übers. v. Stefan Pluschkat, 288 S.

„Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“ (Tempo)
Übers. v. Stefan Pluschkat, 304 S.