Zur einhundertsten Wiederkehr der Gründung der vielleicht einflussreichsten Reform-Kunst-Architektur-Design-Hochschule des 20. Jahrhunderts am 12. April erscheint eine Fülle neuer Bücher, von biografischen Aspekten bis zur Nachwirkung in Kunst, Werbung und Alltag. Eine Auswahl.
Es ist nahezu weltweit ein Assoziations-Automatismus. Was fällt Menschen zu „Deutschland“, „Reform“ und „Zwanziger Jahre“ ein? „Bauhaus“.
Aber woran denkt man da? Gibt es das Bauhaus überhaupt – einmal abgesehen vom materiellen Zeugnis des Lehrgebäudes in Dessau, das der Gründer, Direktor und unablässige Propagandist in eigener Sache Walter Gropius (1883-1969) 1925/26 entwarf? Woran genau denkt man? An große weiße kahle Wände, transparente Flächen, vorgehängte Glasfassaden, luftige Architektur? An Wilhelm Wagenfelds Tischlampe oder Marianne Brandts Teekanne? An die Grenzüberschreitung der Künste, von Malerei, Design, Architektur, Tanz, etwa in Oskar Schlemmers Triadischem Ballett?
Bestand die Idee „Bauhaus“ nicht genau darin, „für ein gesellschaftliches Ganzes zu arbeiten“, wie der langjährige Berliner und Bremer Museumsdirektor Wulf Herzogenrath in seinem Essayband fragt? In sieben Aufsätzen umkreist er erhellend die Idee des Gesamtkunstwerkes, die unterschiedlichen Entwicklungsphasen, erzählt, wie ein wichtiges Werk zerstört wird, Oskar Schlemmers „Bauhaus-Fresken“, analysiert die Internationalität, schildert den Alltag von Lehren und Leben. Ein illuminierender Einstieg in den Kosmos Bauhaus.
Jubiläen haben ja manchmal auch gute Seiten. Beim Bauhaus-Jubiläum ist das besonders die Übersetzung von Nicholas Fox Webers voluminöser Monografie „Die Bauhaus-Bande“ – nach zehn Jahren. Der langjährige Leiter der Josef and Anni Albers Foundation im US-Bundesstaat Connecticut porträtiert Walter Gropius, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Ludwig Mies van der Rohe sowie Anni und Josef Albers. Das Buch ist in den USA zu Recht hochgelobt worden, vereint es doch auf lehrreiche, sehr gut lesbare Weise Einzel- mit Gruppenporträts, nämlich der Schule als Ganzem. Schade nur, dass der Verlag DOM Publishers für die deutsche Ausgabe einen simplen Umschlag entwarf und nicht den reizvollen des amerikanischen Originals mit den vielen Köpfen nahm.
Aktuell bei vielen Verlagen gefragt, sind Bände, in denen es um einen Frauen-Kranz geht. Besser gesagt: um die Frauen um einen bestimmten Mann, sei es nun Theodor Fontane, Kronprinz Rudolf, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Stefan George. Die Architekturschriftstellerin Ursula Muscheler legt nun eines über die Frauen um Walter Gropius vor, über Manon Gropius, Alma Mahler, Lily Hildebrandt und Maria Benemann sowie Ilse „Ise“ Gropius. Das waren: die behütende Mutter, die erste flamboyante Gattin, inspirierende Geliebte, die sorgende, später eigene amouröse Wege gehende Ehefrau.
Seit der monumentalen Walter Gropius-Biografie von Reginald Isaacs ist bei ihm selbst ja keine Frage des Lebens, des Charakters, der Wirkung, des Ehrgeizes und des Elans nicht ausgeleuchtet. Dass Muscheler die Leben der Frauen um den charismatischen Architekten Gropius nachzeichnet, der nach der Matura kein Examen mehr bestand und seine erste Stelle in einem renommierten Architekturbüro verlor, weil der von ihm betreute Bau eklatante Statik- und Baumängel aufwies, ist ehrenwert, dass sie ihn allerdings schon in den ersten Absätzen als „Meister“ bezeichnet, merkwürdig.
Gropius war Liebling der Frauen. Seit seiner Geburt wurde er von seiner Großmutter vergöttert. Seine Mutter Manon war erst eher dem jüngeren Bruder Georg zugeneigt, dieser starb jung. Später war sie ihm eine große Stütze. Muscheler geht die unterschiedlichen Stufen der Beziehungen durch. Schließlich war Gropius lange ein Don Juan, der zeitweise mit mehreren Beziehungen jonglierte. Die zu Alma Mahler mündete in eine Ehe und endete im Eklat und Sorgerechtsstreit. Nun ist über Alma, verwitwete Mahler, spätere Frau Werfel, und Egozentrik, Eitelkeit und Antisemitismus alles bekannt. Weitaus weniger vertraut hingegen sind die Künstlerin Lily Hildebrandt, die, verheiratet mit einem Künstler, von Stuttgart aus für Gropius entflammt war, für ihn und das Bauhaus heftig trommelte, bis er sich überfordert von ihr zurückzog. Gleiches galt für die Lyrikerin Maria Benemann, die sich durchhungerte.
Das Grundproblem Muschelers ist die Materiallage. Gropius’ Briefe an die Frauen sind erhalten, von jenen, die an ihn gerichtet waren, hingegen nur wenige. Muscheler zeichnet Gropius als Narziss, von sich überzeugt, nicht selten dozierend. Ach, er baute auch? Nicht weniges? Er visionierte Großes, gewann eigenständige bis exzentrische Kollegen, sich in einem Kolleg zu engagieren und zu unterrichten? Davon liest man hier zu wenig. Zudem muss man uncharmant konstatieren, dass seine künstlerische Begabung, seine Ausdauer, sein Ehrgeiz schlichtweg größer waren als die der Frauen. Die Darstellung ist solide. Sprachlichen Glanz sucht man vergeblich.
Die deutsche Architekturprofessorin Jana Revedin, die in Paris und Lyon lehrt und in Kärnten und Venedig lebt, wählt einen etwas anderen Zugang zu Ise Gropius, geborene Ilse Frank. Sie hat um sie herum einen „biografischen Roman“ geschrieben. Das ist in Stefan Zweig-Manier psychologisch recht eindringlich. Fünf Jahre schildert sie, von der ersten Zufallsbegegnung 1923 bis 1928, entscheidende Jahre im Leben der 1898 geborenen Ilse Frank, die nach abgebrochenem Germanistikstudium in Berlin und Krankenschwesterdienst im Krieg seit den frühen 1920er Jahren in München lebte, in einer Buchhandlung arbeitete und für dessen Rezensionsdienst Buchbesprechungen schrieb. Revedin beschreibt das Kennenlernen, lässt Gropius als großen umgarnenden Liebenden auftreten, dann als Ehemann. Übersiedlung nach Weimar, dann nach Dessau. Da spielte Ise Gropius schon eine wesentliche Rolle als Organisatorin, Repräsentantin, als „Frau Bauhaus“, fast wäre dank ihr das Bauhaus in Köln gelandet, weil sie sehr gute Beziehungen zum Bürgermeister Konrad Adenauer hatte. Dass der Roman ziemlich jäh endet, mit der Übersiedlung nach Berlin 1928 und einem Lebensabriss im Stakkato bis zum Tod 1983 – eine lästige Seitenbeschränkung? Danach folgte immerhin nicht ganz Unbedeutendes, ab 1930 ihre längere Beziehung zum Bauhaus-Grafiker Herbert Bayer, die unter anderem die Ehe mit der Fotografin Irene Hecht zerbrechen ließ, die bei Revedin als engste „Seelenfreundin“ aufscheint.
Man stutzt angesichts einiger Fehler. Ja, man wundert sich, dass Frank bereits ab der ersten Seite „Ise“ genannt wird. Schließlich hat diese Verkürzung ihr erst Gropius vorgeschlagen, um nicht zu sagen: aufgenötigt. Endgültig stutzt man, weil das hochbrausende expressionistische Pathos, das Walter Gropius brieflich zu eigen war, hier auf eine Neusachlichkeit herabgedimmt ist. Es erscheint nicht weniges hier allzu patent.
Aufregend ist hingegen der prachtvoll ausgestattete Band des Erfurter Kommunikationswissenschaftlers Patrick Rössler über Typografie und Grafikdesign.
Die Ausstellung „Das Bauhaus wirbt. Neue Typografie und funktionales Grafik-Design in der Weimarer Republik“ ist von März bis Mai 2019 im KunstForum Gotha zu sehen.
Schon die erste Abbildung verheißt: „Die Zeit ist reif“. Und das war sie – für neue Schriften, grandiose alles umstürzende Plakatgestaltung, für Umschlag- und Buchdesign, das alles anders machte. „Nie konservativ!“, könnte man als Bauhaus-Spruch über alles setzen. Ein visuell fulminanter Rundgang durch mehrere Jahrzehnte. Schön, dass auch der Übergang in die NS-Zeit aufgezeigt wird. Und die Reprisen in den Sechziger Jahren, bei Covern wie beim Design von Magazinen wie „twen“.
Damals war in der Architektur der „International Style“ à la Gropius oder Mies van der Rohe gang und gäbe, Signum der Gegenwart, von Amerika ausgehend, wohin viele Bauhäusler emigriert waren. Der üppig illustrierte Katalog „Bauhaus und Amerika“ zeigt auf, wie vehement und virulent der Einfluss in der bildenden Kunst, in Fotografie und experimenteller Avantgarde gewesen ist, über Pop Art in den Alltag hinein, bis zu Werbung oder Musikvideos. Unübersehbar deutlich wird, wie weit ihrer Zeit voraus Lászlo Moholy-Nagys Lichtmalerei-Experimente am New Bauhaus in Chicago waren, wie entscheidend Schlemmers Ballette die Performance-Kunst prägte, wie inspirierend Josef Albers auf junge Künstler am Black Mountain College wirkte.
Die Ausstellung „Bauhaus und Amerika. Experimente in Licht und Bewegung“ ist noch bis 10. März im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster zu sehen. Das Bauhaus als stilprägende Schule mag vergangen sein. Die tragenden und prägenden Ideen dahinter hingegen sind noch einhundert Jahre später staunenswert aktuell.
Hermann Arnhold, LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster (Hg.), „Bauhaus und Amerika. Experimente in Licht und Bewegung“, Kerber, 272 S.
Wulf Herzogenrath, „Das bauhaus gibt es nicht“, Alexander, 152 S.
Ursula Muscheler, „Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius“, Berenberg, 160 S.
Jana Revedin, „Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus. Das Leben der Ise Frank“, DuMont, 304 S.
Patrick Rössler, „Neue Typografien. Bauhaus & mehr. 100 Jahre funktionales Grafikdesign in Deutschland“, Wallstein, 232 S.
Nicholas Fox Weber, „Die Bauhaus-Bande. Meister der Moderne“ (Übers. v. Claudia Kunze), DOM, 542 S.
Foto: Künstler wie der Tänzer Merce Cunningham erforschten das Verhältnis des Körpers zu Raum, Zeit und Bewegung. (Barbara Morgan: Merce Cunningham, Totem Ancestor, 1942)