Leon de Winter träumt den unmöglichen (?) Traum und kehrt mit einer berührenden Parabel zurück zu den Wurzeln: »Stadt der Hunde«. Foto: Paul Tolenaar.
Auch der niederländisch-jüdische Gehirnchirurg Jaap Hollander, ein Gott in Weiß, ist nicht gegen menschliches Leid gefeit. Seit seine achtzehnjährige Tochter Lea auf der Suche nach ihren Wurzeln spurlos in der Negev-Wüste verschwunden ist, reist er jedes Jahr nach Israel in der Hoffnung, etwas über ihren Verbleib zu erfahren. Auch nach zehn Jahren noch weigert er sich, das Offensichtliche zu akzeptieren. Doch dann erreicht ihn ein hochbrisanter Auftrag: Die siebzehnjährige Tochter eines saudischen Prinzen leidet an einer arteriovenösen Fehlbildung im Gehirn. Niemand wagt sich an die heikle Operation, denn die Malformation sitzt an einer inoperablen Stelle, und ein Misslingen hätte den Tod vermutlich nicht nur der Patientin zur Folge. Niemand anderer als der israelische Ministerpräsident (den Jaap nicht mag) bittet ihn, das Risiko einzugehen: Denn das Mädchen soll einmal die Schreckensherrschaft der Saudis beenden und dem gesamten Nahen Osten Frieden bringen. Jaap nimmt an: Für die stattliche Summe, die er dafür einstreicht, will er ein Team von Geologen anheuern, die die Höhlen und Gänge im Wüstenkrater Makhtesh Ramon nach Spuren seiner eigenen Tochter untersuchen sollen.
Nachdem bei ihm selbst ein operativer Eingriff notwendig wurde, hört Jaap plötzlich einen Hund sprechen. Eine Nachwirkung der OP? Oder muss sich der frühere Macho und Rationalist von Berufs wegen eingestehen, dass es weitaus mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als er es sich je vorzustellen vermochte?
Schuld und Sühne, Verlust und Trauer, Liebe und Hoffnung, Tod und (ewiges) Leben: Wird wenigstens Jaap seinen Frieden finden? De Winters 2023 in den Niederlanden erschienener Roman liest sich heute aktueller und schmerzlicher denn je.
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Leon de Winter
Stadt der Hunde
Ü: Stefanie Schäfer
Diogenes, 272 S.