… ist unantastbar, heißt es. Es heißt auch, dass alle Menschen gleich und die Wissenschaft und ihre Lehre frei sind … Foto: © Francesca Mantovani, Editions Gallimard.


Dass die Würde nicht mehr das Privileg der Eliten ist, heißt es ebenfalls. Aber lange, sehr lange nach Kant, wurde in der katholischen Kirche noch gepredigt: »Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach …« – die Würde sollte dann aus dem selig (würdig) machenden Wort Gottes, der damit verbundenen Gesundung der Seele erfolgen. So viel dazu.

Die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury entwickelt in ihrem neuen Buch das Konzept der »Klinik der Würde«. Sie fordert auf, »Würde« neu zu denken. Dass bei diesem Ansatz der Terminus der »Unwürde« in Bezug gesetzt werden muss, erklärt sich von selbst. Letztlich, schreibt Fleury, sind nicht diejenigen unwürdig, »die unter unwürdigen Bedingungen leben, sondern diejenigen, die diese Bedingungen schaffen und tolerieren. In diesem Sinne geht die Unwürde alle an, ob wir es wollen oder nicht.« Der Umgang mit der Würde des Menschen steht auf dem Prüfstand, besonders wenn es um den Care-Bereich, Kriegsvertriebene, Inhaftierte oder Arbeiter/innen geht, die, im Wortsinn, Drecksarbeit verrichten. Fleurys Buch ist leidenschaftlich engagiert, elaboriert – und doch in Teilen ein wenig naiv, wenn es um die praktische Umsetzung von Ansprüchen geht. So schreibt sie etwa, wenn die (Alten)Pflege »mehr vergemeinschaftet werde und nicht immer auf denselben sozioökonomischen, ethnischen oder beruflichen Kategorien beruhen würde, wäre die ›Last‹ besser und gerechter verteilt und würde angesichts des allgemeinen Unbehagens ein solidarischeres Ökosystem erfordern.« Dennoch zur Lektüre zu empfehlen.

Cynthia Fleury
Die Klinik der Würde
Ü: Andrea Hemminger
Suhrkamp, 150 S.