Von »Nach dem Krieg«, zwölf Erzählungen von Graham Swift, möchte man sich kaum loslösen.


Zum ersten Mal las ich Erzählungen von Graham Swift, dem 1949 geborenen englischen Schriftsteller mit russisch-jüdischen Wurzeln, vor über 40 Jahren. Bald nach diesem »Schwimmen lernen« wurde er 1983 mit »Wasserland« berühmt, und erhielt dann für »Letzte Runde« 1996 den Booker Prize. »Ein Festtag« (dtv 2017, BK 172) wurde ein internationaler Bestseller. Und nun also »Nach dem Krieg«, im englischen Original »Twelve Post-War Tales«. Nach wie vor gibt es unter den vielen Literaturpreisen nur sehr wenige, die auf Erzählungen spezialisiert sind, seit dem Vorjahr immerhin den »Österreichischen Literaturpreis für Erzählungen«. Worauf ich hinaus will: die erste Geschichte in »Nach dem Krieg«, die mit dem Titel »Das Nächstbeste« (»The Next Best Thing«) wäre so eines Preises unbedingt würdig. Der Inhalt ist hier nicht nachzuerzählen, in vielen, vielen kleinen Erzählschritten, in fließenden Gedankengängen, eröffnet sich diese Geschichte aus dem Jahr 1959. Vor einem deutschen Beamten, namens Büchner, steht ein junger englischer Gefreiter mit dem arroganten Brief seines Vorgesetzten. Der Junge hat Glück, Büchner mag ihn und hilft ihm. Zu diesem berührenden Inhalt kommt dann noch eine sprachliche Finesse: Büchner hatte nämlich seinerzeit als Soldat die Möglichkeit, nahezu perfekt die englische Sprache zu lernen, weiß also, mit einschlägig passenden Wörtern unerwartet Vertrauen zu gewinnen. Meisterhaft schafft die deutsche Übersetzerin Susanne Höbel diese Situation. Und wenn da zuvor stand, »Büchner mag ihn«, dann trifft das für die Heldinnen und Helden aller Erzählungen in diesem Buch zu. Graham Swift, ihr Autor, mag sie. Das spürt man. Für Swift war das Erinnern schon immer ein Grundthema seines Schreibens. Diesmal sind es Erinnerungen, die mit dem Krieg zusammenhängen. Der pensionierte Dr.Cole, der in der Corona-Krise im Spital aushilft, denkt während seiner Fahrt ins Spital an seinen zehnten Geburtstag, wo er sich »bei seiner wunderbaren Geburtstagsfeier mit Scharlach angesteckt hatte.« Das verklärte Licht, in dem der Autor diese Geburtstagsfeier erscheinen lässt, leuchtet noch lange. Alte Männer in einem Pub kommen bei Swift öfters vor, so auch in »Schokolade«, wo der eine mit Namen Dermot, von einem Mädchen erzählt, »das in Schokolade tätig war«. Als er zur Bar geht, verklären seine Erinnerungen den Gehweg draußen und auch die geparkten Autos dort mit einem dunklen Glanz. Das sind jetzt nur drei der zwölf Nachkriegserzählungen. Eine noch, die Letzte mit dem Titel »Der Pass«: Da nimmt es eine 82-jährige Anna-Maria ihrem George gar nicht mehr übel, dass er vor vielen, vielen Jahren davongelaufen ist, sie sitzt noch immer vor dem wunderschönen Sekretär, den er ihr einmal geschenkt hat.
Es fällt schwer, sich von diesen Geschichten zu trennen.

Graham Swift
Nach dem Krieg. Zwölf Erzählungen
Ü: Susanne Höbel
dtv, 296 S.