Ein fesselndes Debüt: Anne Sauers Protagonistin findet sich eines Tages »Im Leben nebenan« wieder. Foto: Tara Wolff


Eines Morgens erwacht Antonia auf einem fremden Sofa, in einem unbekannten Haus, mit einem Baby neben sich, das sie offensichtlich von ihrer Jugendliebe Adam bekommen hat. Sie hat das Dorf ihrer Kindheit nie verlassen, obwohl sie doch gestern noch in ihrer kleinen Altbauwohnung in der Stadt neben ihrem langjährigen Freund Jakob eingeschlafen ist. Antonia (oder Toni) weiß nicht, wie ihr geschieht und wo ihr altes Leben geblieben ist, in dem sie vergeblich versucht hat, ein Kind zu bekommen, und sich schließlich auch eine Zukunft ohne vorstellen konnte. Erst allmählich findet sie sich in dieser Kontrastwelt wieder, in einem Leben, das genauso hätte verlaufen können (oder verlaufen ist?), wenn sie sich an einem Punkt ihrer Biografie anders entschieden hätte.

In ihrem Debütroman lotet die Texterin, Moderatorin und Autorin Anne Sauer anhand eines spannenden Gedankenexperiments die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen heute aus: Die Toni der Stadt hat sich jahrelang in der Agentur die Karriereleiter emporgeschuftet, nur um dann aus angeblich finanziellen Engpässen entlassen zu werden (der männliche Kollege wurde es nicht): Als Frau wird einem am Arbeitsplatz zwar alles abverlangt, man bleibt aber dennoch unsichtbar. Als sich kein Kind einstellt, bekommt sie Hormonspritzen und Medikamente, deren Nebenwirkungen an ihre Substanz gehen. Nie gehört einem sein Körper allein. Als Frau, sagt sie, muss man sich immer rechtfertigen, wenn man keine Kinder will. Antonia dagegen kämpft mit den Anforderungen und gesellschaftlichen Erwartungen, die das Leben als junge Mutter an sie stellt – ein Leben, das auch als Sackgasse empfunden werden kann.

Was wäre gewesen, wenn? Eine Frau und zwei Lebensentwürfe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch einander nicht diametral entgegenstehen müssten, wenn wir uns – in beide Richtungen – von patriarchalen Erwartungen und Vorstellungen von Rollenbildern lösen könnten. Was ist ein selbstbestimmtes Leben? Woher kommt überhaupt unser Kinderwunsch? Anne Sauers berührend und ehrlich erzählter Roman gibt keine eindeutigen Antworten. Keiner der vorgestellten Entwürfe ist besser als der andere. Oder, anders ausgedrückt: Beide haben ihre Berechtigung.

Anne Sauer
Im Leben nebenan
dtv, 272 S.