Der Preis zum Wissenschaftsbuch des Jahres wird vom österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgeschrieben und prämiert die besten deutschsprachigen, wissenschaftlich fundierten Sachbücher: Hier stehen sie im Mittelpunkt und mit ihnen jene Personen, die Forschung betreiben und durch ihre Publikationen vermitteln. Gleichzeitig macht der Preis deutlich, wie sehr das Buch das zentrale Medium für die Wissensvermittlung ist.

Jetzt hat das Publikum entschieden: Knapp 8.000 Stimmen wurden bei der diesjährigen Wahl bis zum 9. Januar abgegeben, nun stehen die Siegertitel des »Wissenschaftbuch des Jahres 2024« fest. Buchkultur gratuliert den Gewinner/innen herzlich!


Jens Wietschorke: Wien – Berlin. Wo die Moderne erfunden wurde (Reclam)

Die Großstädte Berlin und Wien wetteiferten oft miteinander und wurden dementsprechend häufig verglichen. Jens Wietschorke hat die Beziehungsgeschichte der beiden Metropolen noch genauer unter die Lupe genommen: Wien und Berlin waren nämlich insbesondere während der klassischen Moderne, also in den Jahren 1870 bis 1930, wie es Wietschorke gleich zu Beginn seiner umfassenden wie unterhaltsamen Studie treffend nennt, »Magnete«. Beide Städte zogen sich an und stießen sich ab – in der Kultur, bei sozialen Milieus und intellektuellen Phänomenen. Der Ethnologe und Kulturwissenschaftler nimmt diese rivalisierenden Zentren in den Fokus – politisch, kulturell, geistesgeschichtlich – und beschreibt elegant und klug argumentierend dieses Wechsel- und Abgrenzungsverhältnis inklusive seiner Wissens- und Kulturtransfers. Was den Autor jedoch vor allem interessiert, ist ein vergleichender analytischer Blick eines »Zirkulationsprozess zwischen Klischee und Wirklichkeit«. So entsteht ein Kaleidoskop der deutschsprachigen Moderne, das vieles neu beleuchtet und in beiden Städten bis heute wohl gehütete Ressentiments dekonstruiert. Eine überaus erhellende Untersuchung von Klischees und stereotyp tradierten Vorstellungen!

Jens Wietschorke studierte Volkskunde in Tübingen, promovierte in Berlin, war von 2009 bis 2015 stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Seither ist er Akademischer Rat am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität München.


Daniela Angetter-Pfeiffer: Als die Dummheit die Forschung erschlug. Die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin (Amalthea)

Die österreichische Medizin gehört schon lange zum internationalen Spitzenfeld; wie etwa die Namen Sigmund Freud, Alfred Adler, Theodor Billroth oder Julius Wagner-Jauregg bezeugen. Viele dieser bahnbrechenden Leistungen heute weltbekannter Ärzt/innen scheiterten aber zunächst häufig an Kollegenneid, dem Unverständnis der Politik oder fehlendem Geld. Selbst vor Nobelpreisträgern wie Robert Bárány oder Karl Landsteiner machten Mobbing und Vertreibung von Ärzt/innen nicht halt. Unverstanden von der eigenen Zeit und ihrer öffentlichen Meinung, scheiterten so einige. In diesem Spannungsfeld zwischen Pioniergeist und Ignoranz ruft Daniela Angetter-Pfeiffer ein informatives Stück Wissenschaftsgeschichte, viele dieser Vergessenen und ihre Verdienste wieder in Erinnerung. Mit leichter Hand zeichnet sie auf der Grundlage intensiver Archivrecherchen, wie zahlreiche medizinische Innovatoren Opfer von Fortschrittsverweigerung, Borniertheit und Missgunst und ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch von antisemitischem Hass wurden. Angetter-Pfeiffer legt hier eine instruktive und informative Geschichte der Wissenschaftsignoranz und Fortschrittsfeindlichkeit vor, die Parallelen zur Gegenwart erschreckend deutlich macht.

Daniela Angetter-Pfeiffer studierte Geschichte und Deutsche Philologie in Wien. Von 1996 bis 2001 arbeitete sie dort am Institut für Geschichte der Medizin. 2001 wechselte sie an das Institut Österreichisches Biographisches Lexikon. Seit 2012 ist sie Vorsitzende der Arbeitsgruppe für Geschichte der Erdwissenschaften in Österreich. Ebenso ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Angela Stöger: Elefanten. Ihre Weisheit, ihre Sprache und ihr soziales Miteinander (Brandstätter)

Ihr Gedächtnis ist sprichwörtlich. Und auch sonst faszinieren Elefanten, weil sie so viel mit Menschen gemein haben: Sie können sich im Spiegel erkennen, haben individuelle Charaktere und gehen ähnlich mit Verstorbenen um. Angela Stöger, eine der weltweit renommiertesten Experten der Spezies, zeigt die Welt dieser Tiere eindrucksvoll: Wir erfahren, wie sie kommunizieren, denken und fühlen. Somit hilft dieses Buch dank neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verstehen, wie die Dickhäuter unsere Welt wahrnehmen. Stöger hat in zoologischen Gärten, in Nationalparks und in Tierauffangstationen auf mehreren Kontinenten Intelligenz und Emotionalität der Elefanten erforscht. Diese zahlreichen Erkenntnisse bilden das Fundament eines Buchs, das empathisch wie mitreißend diesen komplexen Kreaturen ein gelehrtes Denkmal errichtet –  instruktiv und in jeder Hinsicht respektvoll. So verweist Stöger zum Beispiel auf den hoch entwickelten Hippocampus der Elefanten: die für Sensibilität, Fürsorglichkeit und Empathie zuständige Großhirnregion. Plastisch schildert die Zoologin, wie Elefanten denken, kommunizieren und in einem anspruchsvollen Sozialsystem agieren. Und sie beschreibt, wie sehr Elefanten durch Wilderei und Klimawandel vom Aussterben bedroht sind. Am Ende ist dieses Buch daher auch ein eindringlicher Appell für den Schutz dieser Tiere und ihrer Umwelt.

Die in Wien geborene Biologin und promovierte Zoologin Angela Stöger habilitierte sich 2018 in Verhaltens- und Kognitionsbiologie und lehrt am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien, wo sie 2011 das Mammal Communication Lab gründete.


Katharina von der Gathen | Anke Kuhl: Radieschen von unten. Das bunte Buch über den Tod für neugierige Kinder (Klett Kinderbuch), ab 8

Sie gehören in unserer Kultur immer noch zu den Tabuthemen: Der Tod und das Sterben. Daher gibt es für Erwachsene oft fordernde Fragen, die nicht immer einfach zu beantworten sind, wenn Kinder plötzlich mit dem Ableben konfrontiert werden. Kinder sind nämlich in der Regel neugierig und wollen wissen, wie das ist mit dem Sterben – zum Beispiel wie es sich anfühlen könnte und was dabei eigentlich genau passiert. Dieses Buch von Katharina von der Gathen liefert mit viel Feingefühl und Achtsamkeit unzählige Informationen rund um dieses sensible Thema und schafft einen beachtenswerten Ausgleich zwischen Ernsthaftigkeit, Humor und Respekt, was die gewitzten Illustrationen von Anke Kuhl noch zusätzlich untermalen.

Katharina von der Gathen, geboren 1973, studierte Sonderpädagogik und arbeitet als Sexualpädagogin und Autorin in Bonn, wo sie auch mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt.

Anke Kuhl, Jahrgang 1970, hat in Mainz und Offenbach das Zeichnen studiert und arbeitet seit 1998 in der Frankfurter Ateliergemeinschaft »labor«. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt am Main.

Weitere Informationen unter www.wissenschaftsbuch.at


Die Preisverleihung findet am 15. April um 19 Uhr in der Wiener Aula der Wissenschaften statt. Sie können sich demnächst zu dieser Veranstaltung anmelden!