Maria malt. Der zum Titel erkorene Satz kommt wahrlich häufig in Kirstin Breitenfellners Romanbiografie vor: Mal ist er provokantes Statement, mal psychische Notwendigkeit, mal Auflehnung gegen den zutiefst männlich geprägten Kulturbetrieb – was auch immer passiert, Maria Lassnig malt, immer. Doch wie schreibt man über eine Frau, die ihr Leben (Lassnig ist 1919 geboren und lebte bis weit ins 21. Jahrhundert hinein, sie starb 2014) der Malerei verschrieben hat, wie übersetzt man ein künstlerisch-schaffendes Dasein in Literatur? Für Kirstin Breitenfellner war klar: Ihre Annäherung soll nicht in Form einer herkömmlichen Biografie von außen an die Malerin heranreichen, nein, sie wollte ihr so nahe wie möglich kommen.

Im Gespräch erzählt die Autorin von den Gefahren, die eine solch intime und intensive Beschäftigung mit einer Künstlerin bergen, von ihren Eindrücken der Künstlerinnenbiografie Lassnigs, vom späten Ruhm und von ihrer Erleichterung, am Ende auch wieder Abstand nehmen zu können. Foto: Matthias Bade.


Buchkultur: Sie schreiben im Anhang, dass Sie von der Maria Lassnig Stiftung Einblicke in Notizen, Tagebücher und Briefe erhalten haben. Was waren darüber hinaus Ihre Quellen, wie dicht sind Sie an diesen Quellen drangeblieben, wo haben Sie der Geschichte womöglich einen bestimmten Drall gegeben – und was hat Sie vor allem dazu bewogen, sich Maria Lassnig so intim zu nähern?

Kirstin Breitenfellner: Ich kenne und liebe die Kunst von Maria Lassnig schon lange, ihre Körperbewusstseinsbilder haben auch meine Lyrik beeinflusst, wo es viel um den Körper geht. Ich wollte eigentlich nie einen historischen Roman schreiben, aber als ich vor fünf Jahren die wunderbare Biografie von Natalie Lettner gelesen habe, wusste ich, dass es sein »muss«. Eine Biografie nähert sich einem Menschen mehr von außen als ein Roman, und Lettners umsichtiger, genauer Zugang hat mir klar gemacht, wie viele Ebenen im Leben und der Persönlichkeit von Maria Lassnig stecken. Das sind mindestens zehn Romane! Also musste ich auswählen und habe mich auf die Zeit konzentriert, über die noch am wenigsten bekannt war: die Fünfzigerjahre und die unmittelbare Nachkriegszeit. Österreich am Punkt null. Alles war möglich und doch wieder nicht, denn auch die Kunst ist nicht ganz frei, dort braucht es Mäzene und gibt es Cliquen wie überall. Die Maria Lassnig Stiftung hat mir ihre Notizbücher von den 1940er Jahren bis kurz vor dem Tod 2014 zur Verfügung gestellt. Sie sind aber eher philosophisch-reflektierend. Persönlicheres steht in den Briefen. Ich habe als Erste den gesamten Briefwechsel von Maria Lassnig mit ihrer Mutter gelesen, das war sehr aufregend. Eine wichtige Ergänzung waren Interviewbände über die Zeit, die insgesamt nicht sehr gut dokumentiert ist. Zumal, was Künstlerinnen betrifft. In einem Buch aus dem Jahre 1996 über die Kunst nach 1945 gab es nur zweimal zwei Seiten über Frauen – Maria Lassnig und Kiki Kogelnig – die restlichen 400 Seiten wurden mit Informationen über und Interviews mit Männern bestritten. Mittlerweile gibt es aber auch Interviewbände mit Gesprächen von Zeitgenossen über Maria Lassnig. Dazu habe ich Biografien von Personen aus ihrem Umfeld gelesen, um das Feld abzustecken, Zeitungsartikel rezipiert, Radiosendungen gehört und Filmmaterial gesichtet etc. Ich bin insgesamt sehr dicht an den Quellen geblieben und habe die überlieferten Anekdoten mit »Fleisch« gefüllt, nur wenige Szenen musste und wollte ich ganz in meiner Fantasie erstehen lassen. Es war sehr spannend, sich einer Person so intim zu nähern, man durchläuft dabei die unterschiedlichsten Gefühle, von Sympathie bis Abneigung. Aber zum Schluss hatte ich schon das Gefühl, sie besser zu verstehen. Vielleicht sogar zu gut! (lacht)

Gab es bei Ihrer gewiss sehr umfassenden Recherche etwas, das Sie in der Biografie Lassnigs überrascht hat? Für mich waren zum Beispiel die starken Unsicherheiten der Malerin, auch im fortgeschrittenen Alter, unerwartet …

Je näher man sich mit etwas befasst, desto fremder wird es auch mit der Zeit. Gleichzeitig stellt sich eine große Vertrautheit her. Die starken Unsicherheiten haben mich nicht überrascht, ich würde sie auch nicht unbedingt so nennen. Maria Lassnig war eine große Zweifelnde wie alle großen Künstlerinnen und Künstler. Sie hat diese Zweifel festgehalten, deswegen wirken sie so massiv. Gleichzeitig war sie auch sehr selbstsicher: Sie war überzeugt, dass sie es ohne Cliquen und Mäzene schaffen wird. Aber natürlich hatte sie als Frau auch kaum eine Chance, Mitglied einer der Männercliquen zu werden, die die damalige Kunst dominiert haben. Überrascht hat mich festzustellen, wie sehr ihre anscheinend dysfunktionalen Beziehungen mit Arnulf Rainer, Padhi Frieberger und Oswald Wiener sie weitergebracht haben. Von jedem dieser Männer hat sie einen Impuls bekommen. Und ist schlussendlich alleine weitergegangen. Am aufregendsten war für mich der Briefwechsel mit ihrer Mutter. Anders, als ich es erwartet hatte, ist sie von dieser herrischen, opportunistischen Person, die durch Heiraten den sozialen Aufstieg geschafft hat und das auch von ihrer Tochter erwartete, bis zum Schluss unterstützt worden. Es blieb aber eine zutiefst ambivalente Beziehung. Mathilde Lassnig wurde im Zuge meiner Auseinandersetzung mit ihr zu so etwas einer zweiten, heimlichen Hauptfigur des Romans.

Wann gab es bei Ihrer Sichtung des Materials, bei Ihren Besuchen der Schauplätze, den Punkt, an dem Sie sich gesagt haben: Jetzt weiß ich genug, jetzt kann ich anfangen zu schreiben. Oder ging die Recherche bis in die letzten Schreibzüge hinein, haben Sie gar am Ende noch etwas verändert?

Eine gute Frage. Genug weiß man natürlich nie. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo man weiß, dass man durch weitere Recherche nicht viel mehr herausfinden wird. Dann muss man anfangen, und das ist bei der Fülle von Material, das sich in verschiedensten Ordnern und im Gehirn angesammelt hat, sehr schwer. Ich habe darauf verzichtet, das Recherchematerial während des Schreibens direkt zu benutzen, nur ab und zu mal nachgeschaut. Sonst wäre es ganz sicher kein Roman, sondern eine Dissertation über Maria Lassnig geworden! Nach der ersten Version hat sich der Inhalt des Romans nicht mehr stark verändert, obwohl natürlich immer wieder Recherchematerial dazugekommen ist, das so interessant war, dass ich es nicht auslassen konnte. Wie gesagt: In diesem Leben stecken zehn Romane! Aber die Stoßrichtung und Struktur des Romans haben sich nicht mehr verändert.

Foto: Katja Schwingshandl

Lassnigs Erfolg, ihr Ruhm, wenn man so will, kam – vor allem im Vergleich zu ihren sie unablässig umschwirrenden männlichen Kollegen – sehr spät in ihrem Leben. Worauf führen Sie das zurück?

Dass Lassnigs Karriere so spät in ihrem Leben richtig in Gang kam, hat natürlich damit zu tun, dass sie als Frau nur von wenigen ernst genommen wurde und keine Chance hatte, als Mitglied eine Clique zum Erfolg zu schwimmen. Aber dieser Umstand ist auch mindestens zur Hälfte – das hat bereits Natalie Lettner in der Biografie sehr gut herausgearbeitet – ihrem Charakter geschuldet. Maria Lassnig war unwillig und wohl auch unfähig, sich selbst zu promoten. Sie war extrem selbstbewusst, aber auch extrem schüchtern, mit autistischen Zügen. Wahr bleibt aber auch, dass Frauen dieser Zeit, die dieses Problem nicht hatten, es ebenfalls nicht geschafft haben, in den Olymp der Kunst aufzusteigen. Daraus schließe ich, dass ihr Frausein wohl doch der Hauptgrund war, dass ihre Karriere so lange stockte. Ihr später Ruhm wurde dann maßgeblich von einem Mann befördert: Hans Ulrich Obrist.

»Frauen, die wie kleine Mädchen behandelt werden« – so kann man wohl den Umgang mit Frauen im Kunstbetrieb gut auf den Punkt bringen. Plakativ gefragt: Inwiefern hat das Frausein sich bei Maria Lassnig auf das Künstlerinnensein ausgewirkt – und umgekehrt?

Maria Lassnig wollte nie »Frauenkunst« machen, sondern Kunst. Und hat sich gerne als »Maler« bezeichnet, nicht als Malerin, weil sie fand, dass es schon eine Herabwürdigung war, Frauen nicht als Maler, sondern als Malerinnen zu bezeichnen, die »bloß« Frauenkunst machen. Aber natürlich hat ihr Geschlecht sie festgelegt: bestimmte Wege zum Ruhm waren ihr verwehrt. Und das höchste Lob, das sie einheimsen konnte, war, dass ihre Kunst »fast männlich« sei. Das hat sie sehr erbost und vielleicht auch ein wenig verbittert. Gleichzeitig hat Maria Lassnig ihr Frausein in ihrer Kunst schonungslos thematisiert. Sie hat es nie verleugnet, sondern eher ausgestellt. Und sich bis ins hohe Alter ihren Humor bewahrt sowie eine gute Portion Selbstironie. Das unterscheidet sie von vielen ihrer männlichen Kollegen.

Maria Lassnig in ihrem Atelier in der Maxingstraße (Foto: Wikimedia Commons)

Maria Lassnig ist auch deshalb so faszinierend, weil sie so ein hohes Alter erreicht hat und, aus dem Anfang des vergangenen kommend, weit in dieses Jahrhundert hinein gewirkt hat. Insofern hat sich vor ihren Augen ein gewisser Wandel des Frauenbilds vollzogen. Wie nehmen Sie weibliche Künstlerinnen im heutigen Kulturbetrieb wahr, gibt es Probleme, die sich nach wie vor nicht gebessert haben?

Maria Lassnig hat ihr Studium an der Akademie 1944 abgeschlossen. Das Frauenbild dieser Zeit ist bekannt, und es ist erstaunlich, dass sich eine junge Frau vom Land, die sie ja war, nach dem Krieg so schnell in die mondäne Kunstszene eingefunden hat. Sie hat nie viel auf Konventionen gegeben und war auf eine eigenwillige Art verwegen, und das ohne Kalkül, damit jemanden zu beeindrucken. Vermutlich war das ein Grund für die Faszination, die von ihr ausging. Eine Erlösung für Maria Lassnig bedeutete, als sie 1968 von Paris, wo sie seit 1960 lebte, nach New York ging. Dort war sie zum ersten Mal Mitglied einer Frauengruppe, der Women Artist Filmmakers, und kam mit Feministinnen in Kontakt. Der Mangel an Konventionen in den USA hat ihr gefallen. Dass Frauen sich nicht aufmascherln mussten, sondern einfach in Jeans und Turnschuhen herumlaufen konnten … Das Ansinnen ihrer Mutter zu heiraten und Kinder zu bekommen hat sie immer zurückgewiesen, weil sie wusste, dass ihre Karriere als Künstlerin damit beendet gewesen wäre. Ein berühmtes Zitat von Maria Lassnig besagt ja, dass sie nie jung war und deswegen nicht alt werden konnte. Sie hat in den 1980er Jahren das erste Trickfilmstudio an der Angewandten eingerichtet und, obwohl sie sich nach ihrer Rückkehr nach Österreich auf die Malerei konzentrierte, nie den Anschluss an die Zeit verloren. Es würde sie bestimmt betrüben zu sehen, dass auch heute noch Künstlerinnen wie Martha Jungwirth oder Margot Pilz ihre großen Einzelausstellungen erst zum 80. Geburtstag erhalten und dass es in den Rankings der teuersten Künstler immer noch lange dauert, bis die ersten Frauen auftauchen.

Ich finde die Romanform, für die Sie sich entschieden haben, extrem interessant. Es ist ein sehr flüssiger Text, hauptsächlich von Maria Lassnig in der 3. Person berichtend, eine sehr personale Erzählerin also, die (dank Formulierungen wie »Geld dermalen«) den Eindruck erweckt, als würde Lassnig ihr Leben direkt vor ihren Lesenden ausbreiten. Wie rasch haben Sie in dieses Schreiben hineingefunden, wie lange haben Sie an dem Projekt gearbeitet und wie hat es sich angefühlt, Lassnig so nahe zu sein?

Insgesamt habe ich an dem Projekt fünf Jahre gearbeitet, wobei ich die ersten drei Jahre nur recherchiert und Fakten und Szenen gesammelt und sortiert habe, die ich im Roman drinnen haben wollte. Der Tonfall hat sich durch die Interviews mit Maria Lassnig ergeben, die ich als Filmmaterial oder Radiosendungen sichten und hören konnte. Maria Lassnig hat, obwohl sie sehr belesen war und von Kierkegaard bis Doris Lessing die wichtigsten Philosophen und Autorinnen des Kanons und ihrer Zeit rezipiert hat, auch auf anspruchsvolle Fragen immer sehr lapidar und einfach geantwortet. Dem akademischen Sprechen über Kunst und dem Kunstjargon gegenüber ist sie immer skeptisch geblieben. Diesen direkten, unumwundenen Sprachstil habe ich anverwandelt für den Roman. Das ging, als ich einmal begonnen hatte, sehr schnell. Um mich Maria Lassnig als Person zu nähern und das Umfeld abzustecken, in dem »Maria malt«, habe ich den Roman in der dritten Person begonnen, erst im letzten Kapitel, das wie das Buch »Maria malt« heißt, wechsle ich zur Ich-Erzählerin. Jetzt spricht Maria selbst. Vor diesem Perspektivenwechsel hatte ich großen Respekt, aber dann hat er sich richtig angefühlt. Und mir Maria Lassnig noch einmal näher gebracht. Das war bewegend, aber auch anstrengend, denn sie war, wie alle großen Künstlerinnen, kein einfacher Mensch. Deswegen war es dann auch erleichternd, sie wieder loszulassen.


Kirstin Breitenfellner, 1966 in Wien geboren, lebt und arbeitet seit 1989 ebenda. Neben ihrer Tätigkeit als Yogalehrerin, Journalistin und Literaturkritikerin verfasste sie auch zahlreiche Romane, Sachbücher und Kinderbücher. Zuletzt: »Gemütsstörungen. Sonette« (Limbus Lyrik, 2019), »Was ist Yoga?« (Falter Verlag, 2019), »Bevor die Welt unterging« (Picus, 2018).

Kirstin Breitenfellner
Maria malt
Picus, 464 S.