Im Rahmen der Reihe »100 Seiten« widmet sich Jovana Reisinger der Menstruation.
»Tropf, tropf, tropf«, schreibt Jovana Reisinger in ihrem essayistischen Band »Menstruation«, sie schreibt, während ihre Regel einsetzt: »Ich tropfe. Ein undichter Körper.« Das ist nicht diskret, neutral und unsichtbar, wie die Periode am besten für den Rest der Welt sein soll, aber es ist wahrhaftig. Und selbst wenn wir alle wissen, dass in diesem Moment etwa 1,8 Milliarden Menschen rund um den Erdball menstruieren, findet der eine oder vielleicht auch die andere diese Offenherzigkeit etwas unappetitlich. Warum eigentlich?
Jovana Reisinger ist eine wohltuend unerschrockene Autorin, die sich seit 2020 in ihrer Kolumne »Bleeding Love« mit der Menstruation auseinandersetzt – und findet eine so klare wie wütend machende Antwort: »Die hat wohl ihre Tage« ist Synonym dafür, dass eine weiblich gelesene Person gerade unangenehm ist. Sie ist nervig, laut, unzumutbar und: »Diese Person erlebt offenbar etwas, was aus ihr zeitweise einen anderen Menschen macht.« Bluten als Anomalie, als das Andere, als ein Zustand, den es zu (ver)meiden gilt, da er der Irrationalität Tür und Tor öffnet.
Es mag überraschen, aber trotz einer wahren Flut an Publikationen zum Thema in den letzten Jahren halten sich nach wie vor zahlreiche Mythen rund um die Menstruation. Das ist deswegen so tragisch, weil sie einen grundlegenden Einfluss hat auf die Art, wie die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. Höchste Zeit also, die Menstruation dem abgedunkelten Schambereich zu entreißen und Tacheles zu reden: über hormonelle Schwankungen und die Folgen auf das Leistungsvermögen; über nicht totzukriegenden Aberglauben und gesundheitsgefährdende Geringschätzung; über die strukturelle Ungerechtigkeit bei Preisen für Hygieneprodukte und internalisierten Frauenhass.
Reisinger, das zeigt sich in ihrem Text auf wunderbare und organische Weise, glaubt fest daran, dass echte Veränderung möglich ist, wenn Begriffe von Scham befreit und benannt werden und ihr widerständiges Potenzial gehoben wird: »Wenn man die Gesellschaft verändern will, muss man den Mainstream unterwandern. Daran klammere ich mich. Widersprüche aushalten. Wechselbeziehungen standhalten.« Sie ist sich sicher, dass wir die Menstruation anders sehen könnten als das, was sie uns heute ist: »Ein verwegener Flüssigkeitsverlust«. Sie selbst öffnet mit ihrem schmalen, aber gewichtigen Text das, was sie fordert: einen Resonanzraum, einen Diskurs auf Augenhöhe, eine schamlose Meditation über das Bluten.
—
Jovana Reisinger
Menstruation
Reclam, 100 S.